Wiener Regierung kriselt weiter

■ Waldheim sieht Vranitzkys vage Rücktrittsdrohung nicht als Ultimatum „er oder ich“ Tausende Wiener protestieren gegen den Präsidenten / Maulkorb für ORF-Mitarbeiter

Wien (taz/dpa) – Die Affäre um Österreichs Bundespräsidenten Waldheim hat sich auch gestern vor dem Hintergrund von Bundeskanzler Vranitzkys Rücktrittsdrohung weiter zu einer Regierungskrise entwickelt. Waldheim selbst hat noch vor seiner für den Abend angekündigten Rede eine baldige Aussprache mit dem Bundeskanzler in Aussicht gestellt. Die Rücktrittsdrohung Vranitzkys sah er allerdings nicht als Ultimatum „er oder ich“. Der ÖVP-Wirtschaftsminister in der sozial-konservativen Koalition, Robert Graf, meinte am Montag, der Ball liege nun beim Bundespräsidenten. Es dürfe seinem Land, nicht zuletzt aus wirtschaftspolitischen Gründen, nicht gleichgültig sein, wie das Ausland denke.

Am Sonntag nachmittag und –abend hatten Tausende von Wiener Bürgern an einer Protestkundgebung gegen Waldheim teilgenommen, zu der der Republikanische Club „Neues Österreich“ aufgerufen hatte. Der Piratensender ÖGB, „Österreich gehts bestens“, hatte es geschafft, über den Ö3 zur Teilnahme an der Demonstration aufzurufen. Die Veranstalter hatten mit 2.000 Beteiligten gerechnet; gegen Abend waren es allerdings 5.000 bis 8.000.

Die Redner, zu denen Künstler und Wissenschaftler zählten, protestierten unter anderem gegen einen Knebelparagraphen für Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks ORF. Ihnen ist verbo ten worden, zu Waldheim Stellung zu beziehen. Tosenden Applaus erhielt die ehemalige KZ-Insassin Rosa Jochmann, als sie erklärte: „Dulden wir nicht länger, daß ein Lügner als Präsident in der Hofburg sitzt.“

Unter den Demonstranten machte sich Optimismus breit, daß die Republik nun doch über die Waldheimfrage in Bewegung gerate. Eine Frau am Straßenrand: „Endlich bewegt sich etwas, das ist eine Chance für Österreich.“ Neben ihr forderte ein empörter Herr: „Waldheim muß bleiben. Wir haben ihn verdient.“ Martina Kirfel