: Königsmacher fürs weiße Haus
In New Hampshire fällt heute die Vorentscheidung im US-Wahlkampf ■ Von Stefan Schaaf *B
Seit 1952 ist niemand in den USA Präsident geworden, der nicht auch die Vorwahl in New Hampshire gewonnen hätte. In diesem Jahr wird in beiden Parteien mit harten Bandagen gekämpft. Wer hier deutlich verliert, in den Mittelpunkt des Interesses
Es sah aus wie Dreharbeiten für einen Hollywood-Schinken über den Zweiten Weltkrieg: mitten im heftigsten Schneesturm rattert ein Konvoi aus mehreren gepanzerten Kriegsfahrzeugen über die Hauptstraße Manchesters, umgeben von einem Schwarm von Kameraleuten. Doch weit gefehlt – die martialische Vorstellung sollte Aufmerksamkeit für die Präsidentschaftskandidatur des politischen Exzentrikers Lyndon LaRouche erregen. Der Kandidat jedoch zeigte sich nicht, er fürchtet mehr denn je die Publizität und die große Verschwörung der Washingtoner und Moskauer Machtelite. Doch von LaRouche oder den Dutzenden ebenso bizarrer Randfiguren des Vorwahlkampfes in New Hampshire, im rauhen Norden der Vereinigten Staaten, soll hier nicht die Rede sein, sondern vor allem von den aussichtsreicheren Bewerbern um den Platz im Weißen Haus. Wer in Manchester, der größten Stadt New Hampshires, unterwegs ist, kann ihnen dieser Tage kaum entgehen. Ihre Namen und Konterfeis grüßen aus den Schaufenstern der Wahlkampfbüros im Stadtzentrum, und gelegentlich – erkennbar an einer Traube von Kameraleuten – tauchen sie auch in personam auf, schütteln Hände, erkunden sich nach dem werten Befinden und betteln um das Kreuzchen, das am Dienstag fällig wird. So Michael Dukakis, Gouverneur von Massachusetts, der für die Vorwahl am Dienstag als klarer Favorit gehandelt wird und sich seit einigen Tagen ganz volksnah als Sohn des griechischen Einwanderers Panos Dukakis präsentiert. Wo ginge das besser als in den Südbezirken Manchesters, in denen der 15jährige Panos im Jahre 1912 die Verwirklichung des amerikanischen Traums in Angriff nahm? Dieselben Straßen haben auch heute noch griechisches Flair – wenngleich durch kniehohen Schnee verfremdet. Aus einem Autoradio klingt Bouzouki-Musik, und auf den Scheiben der Eckkneipen steht „Kafeneion“ geschrieben. Einem Besucher wird jedoch beschieden, daß man keinen Kaffee habe, allenfalls griechischen Mokka, aber den wolle er ja bestimmt nicht. Einige der buntgestrichenen Holzhäuser weiter, vor „Bakolas Market“, steht ein Übertragungswagen der örtlichen Fernsehstation und bereitet ein Live-Interview mit dem Gouverneur vor, der sich für halb sechs angesagt hat. Der Zeitplan ist exakt, er sieht genau zehn Minuten für den Besuch des Kandidaten in dem griechischen Kramladen vor, danach geht es hinüber ins Athens Coffee House, wo zehn Minuten mit der Kundschaft parliert werden soll. Um Viertel nach fünf kommt die Kulisse für den TV-Auftritt anmarschiert – ein halbes Dutzend örtlicher Anhänger mit mediterranen Gesichtszügen und „Dukakis for President“-Buttons und Plakaten. Drei kleine Jungs hüpfen aufgeregt auf ihren kalten Füßen um die Kamerastative herum. Endlich kommt das „Dukemobil“ mit dem Kandidaten und dem Pressebus im Gefolge angefahren. Die Scheinwerfer gehen an, Dukakis klettert heraus und steuert direkt auf die Kids zu. „Hello, how are you?“, erwidert er ihre begeisterte Begrüßung, schüttelt ihre Hände und drängelt sich samt den Reportern, Mitarbeitern und Bodyguards zwischen die Regale des Lädchens. Die Kameras surren, während er einige griechische Sätze mit dem Besitzer wechselt. Doch dann ist die surreale Szene schon wieder vorüber, der ganze Troß schwappt wieder auf die Straße und verzieht sich, grell beleuchtet, um die Ecke ins „Kafeneion“.
Einwandererkind
Drei Tage später erzählt Dukakis abermals von seinem Vater und dessen Ankunft in Amerika, und von den Chancen, die zu nutzen jeder wieder eine Möglichkeit bekommen müsse. Sein Publikum sind einige hundert freiwillige Wahlhelfer, die den ganzen Tag lang für den Gouverneur Türklinken geputzt haben und die ihn bei seinem Eintreffen minutenlang begeistert feiern. Unter Ronald Reagan sei es in den vergangenen sieben Jahren immer schwerer geworden, aus der Armut emporzuklettern, sagt Dukakis. Dies müsse sich ändern, und dafür stehe seine Kandidatur. Kim, eine Studentin aus Washington, ist dreizehn Stunden mit dem Bus unterwegs gewesen und hat etwa fünfzig Häuser abgeklappert. Am Anfang ihres Rundgangs bekam sie Karteikarten mit einem Nummerncode ausgehändigt, die ihr die politischen Präferenzen jedes Haushalts signalisierten. Eine eins stehe für Dukakis-Unterstützer, erzählt sie, doch habe sie vor allem bei bisher unentschiedenen Wählern geklopft. Sie bestätigt, daß es auch wenige Tage vor der Vorwahl noch relativ viele Unentschlossene gebe. „Die Kandidaten sind sich doch recht ähnlich“, meint sie. Dukakis sei in New Hampshire vor allem beliebt, weil er aus dem Nachbarstaat Massachusetts komme. „Außerdem unterstützen die Leute gern den Favoriten“, wirft ihr Freund ein, der von Kim zum Mitmachen in der Dukakis-Kampagne überredet wurde. Vor allem kommt ihm sein Eintreten gegen das AKW Seabrook zugute, das seit Jahren Zielscheibe von Umweltschützern ist, und dessen Betreiberfirma vor ei nigen Wochen Bankrott machte. Dukakis weiß, daß er ohne die studentischen Freiwilligen nie einen erfolgreichen Wahlkampf führen könnte, und er versteht sich dafür zu bedanken. Nicht nur eimerweise heiße Suppe steht für seine Graswurzelaktivisten bereit, sondern auch eine Rhythm and Blues- Band, die die kahle Universitätshalle bis zu seinem Eintreffen volldröhnt. Dann erinnert Dukakis an frühere Kampagnen, auch an die von 1978, als er nach einer ersten Amtszeit als Gouverneur abgewählt wurde. „Auch damals lag ich in den Umfragen weit vorn – deswegen seid euch bewußt, daß die Entscheidung erst am Dienstag fällt, es kommt darauf an, daß möglichst viele auch tatsächlich wählen.“ Der Vorsprung, den Dukakis vor seinen Konkurrenten hat, könnte in der Tat beruhigend wirken. Um die vierzig Prozent werde er erhalten, sagen die Meinungsforscher, Senator Paul Simon und der Kongreßabgeordnete Richard Gephardt können dagegen mit nur fünfzehn bis zwanzig Prozent rechnen. Doch in New Hampshire hat es bisher immer Überraschungen gegeben. 1976 siegte hier zum Erstaunen aller der Gouverneur von Georgia, ein Mann namens Jimmy Carter; 1984 verpaßte der Underdog Gary Hart dem haushohen Favoriten Walter Mondale mit einem knappen Sieg einen empfindlichen Schock.
Bei „Dunkin Donuts“ in Berlin, New Hampshire, drehen sich die Gespräche an diesem Nachmittag vor allem um Handwerkliches. Die drei Männer in Arbeitskleidung, die am Ecktisch vor ihren leeren Kaffeebechern sitzen, sind typisch für dieses Städtchen mit 13.000 Einwohnern im hohen Norden des Staates, kurz vor der Grenze zu Kanada.
Bohnen von Babbitt
Einer unterbricht die Diskussion um das korrekte Lackieren eines Schranks: „Wo gibts denn heute umsonst Abendessen? Zur Zeit kann man hier echt billig leben...“ Alle lachen. Am Vortag hatte Kandidat Babbitt Bohnen serviert, nun steht Kandidat Gephardt ins Haus, der mit „kostenlosen Erfrischungen und Unterhaltungsprogramm“ um Zuhörerfür seine Wahlkampfrede am späten Nachmittag wirbt. Die Main Street Berlins hat sich in diesen letzten Tagen der Vorwahlkampagne in einen politischen Basar verwandelt. Vier der Präsidentschaftsbewerber haben sich in leeren Geschäften eingemietet, um Flugblätter und Blechbuttons, Aufkleber und bunte Bildchen unters Volk zu streuen. Einmal kommen die Kandidaten persönlich in diese von einer großen Papierfabrik be herrschten Stadt. Vor einigen Jahren wollte das Unternehmen dicht machen, Berlin stand vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Gephardt läßt sein Publikum warten, doch die kostenlose Unterhaltung – „eine Drei-Mann- Combo“ war eingeplant, wie ein Mitarbeiter verrät – ist wegen irgendwelcher Schwierigkeiten ins Wasser gefallen. Vor allem ältere Leute, Arbeiter und Hausfrauen sind gekommen, um die Gephardtsche Standardrede von der amerikanischen Familienkutsche zu hören, die in Südkorea wegen der unfairen Handelsschranken 48.000 Dollar kosten würde. Er werde mit den Ländern Südostasiens verhandeln, versichert der Kandidat, um amerikanischen Produkten gleiche Chancen zu verschaffen. Er sei nicht bereit, die Produktion von Konsumgütern zugunsten der High-Tech-Industrie und des Service-Sektors abzuschreiben, sagt Gephardt. „Und wenn wir uns darin einig sind“ – sein Zeigefinger geht steil in die Höhe –, „dann wird es uns auch gelingen, Amerika wieder voranzubringen!“ Einer der Zuhörer ist mit der Rede nicht zufrieden. Beim Hinausgehen beschwert er sich, daß Gephardt keine Fragen zugelassen hat. So könne man hier keine Stimmen gewinnen, das habe er schon Ted Kennedy gesagt, als der vor acht Jahren nach Berlin kam.
Gephardts Erfolg könne einen schon depressiv machen, meint dagegen Andy, einer der beiden Freiwilligen in Jesse Jacksons Wahlkampfbüro. Selten habe sich Opportunismus so geschickt als Populismus verkauft. Sie erhoffen sich für Jackson in dieser demokratisch wählenden, von Gewerkschaften dominierten Stadt einige Chancen. „Jackson ist der einzige, der kompromißlos für die Gewerkschaften eintritt“, meint Andy, der für den Wahlkampf aus New York gekommen ist. Das Ergebnis in Iowa, wo Jackson fast neun Prozent der Stimmen erhielt, hat auch politische Experten hellhörig werden lassen. Auf die Stimmen der Arbeiter hat es auch Paul Simon abgesehen, der unablässig auf sein lupenreines linksliberales Abstimmungsverhalten im Senat verweist, während er Gephardts parlamentarische „Purzelbäume“ kritisiert. Seine Kampagne läuft auf Sparprogramm, denn ihm droht das Geld auszugehen, wenn er in New Hampshire nicht gut abschneidet. Er braucht eine halbe Million Dollar, um Fernseh werbung in den Südstaaten bezahlen zu können. Jeder Dollar und jede Stimme zählt also. Deswegen steht auch Paul Ashby aus Texas mittags zum Schichtwechsel mit seinem „Simon for President“ am Werkstor von General Electric in Somersworth und verteilt Flugblätter. Eigentlich wollte der Kandidat selbst da sein, aber vor einer Stunde sei er angerufen worden, meint Paul, daß dieser Auftritt gestrichen sei. Die Beschäftigten laufen an ihm vorüber, einige nicken ihm zu, wenn sie das Flugblatt entgegennehmen, doch niemand bleibt stehen und stellt Fragen. Ein pickliger Fünfzehnjähriger kommt und stellt sich als der örtliche Leiter der „Jugend für Bush“-Kampagne vor. Was denn Jugendliche an George Bush toll fänden, fragt ein Reporter. Die Antwort mag überraschen oder auch nicht: Er sei für SDI, meint der Teenager, und für die Contras.
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