: Ökolibertäre fordern „Reform der grünen Partei“
Anläßlich einer Grünen-Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg stellen Ökolibertäre „Manifest“ vor / Fort mit den heiligen Kühen bei den Grünen / Eine neue Heimat für den Liberalismus / „Es geht um Perspektive und um mehr als reparaturökologische Maßnahmen“ ■ Von Benedict M. Mülder
Berlin (taz) – Auf einer Veranstaltung zur Unterstützung des baden-württembergischen Landtagskandiaten Winfried Kretschmann wollen die Ökolibertären- Grünen heute in Nürtingen ein „Manifest“ vorstellen, das nicht nur mit den „heiligen Kühen“ bei den Grünen aufräumen, sondern auch einen Beitrag zur Programmdiskussion liefern will.
In ihrem „von der Größe des Kleinen“ handelnden Manifest bemühen sich die um den Publizisten Thomas Schmidt gescharten Libertären erkennbar, aus dem „galoppierenden Verfallsprozeß der Grünen“ nicht den Honig der ewigen Schwarzmaler zu saugen. Ein nüchterner Ton, der noch im letzten Kreisverband zu hören sein soll, durchzieht die 27 Seiten, begleitet von einer gehörigen Portion Hoffnung. „Das Bedürfnis nach Signalen für einen Neuanfang ist groß“, heißt es warnend, „schon bald aber werden viele keinen Sinn mehr darin sehen, auf diese Grüne Partei zu warten“. Trostlos nennen sie den gegenwärtigen Zustand der Partei, nur noch wenige, die zu Experten der Parteimaschine geworden seien, verwalteten und verteilten die Pfründe.
Als „wichtigste Reformen, die unverzüglich eingeleitet werden müssen“, fordern die „Ökolibs“ die endgültige „Streichung der Rotation auf allen Ebenen, die Beseitigung des imperativen Mandats und des Abgabezwangs von Diäten, des Fraktionszwangs, sowie die Streichung der Inkompatibilität von Amt und Mandat Beamte aller Parteien, vereinigt Euch! d.S.. Schließlich schlagen sie für die Aufstellung von Kandidaten „Persönlichkeitswahlen“ nach Art der amerikanischen „Primaries“ vor. Sachverstand und Charisma statt Opportunismus und Kanalarbeit sollen endlich zum Zuge kommen.
Im programmatischen Teil des Manifestes vermeiden es die Autoren, sich in jene haarspalterische Rabulistik der Fundi-Realo- Debatte zu versteigen, die mit Akribi in den einschlägigen Gazetten geführt wird. Nach ihrer Meinung sind das „Gespensterdebatten“, Symptom für das grüne Formtief. „Die Streitpunkte der innerparteilichen Diskussion haben rein gar nichts zu tun mit dem, was unere Gesellschaft, die Menschen, die Öffentlichkeit, heute bewegt.“ Solche Punkte, heißt es weiter, würden in der Regel zwischen Geißler, Frau Süßmuth, Hauff, Blüm, Weizsäcker und anderen abgehandelt, bis auf wenige Ausnahmen versuchten sich die Grünen nicht einmal mehr einzumischen.
Den Grund dafür sehen sie in der „dogmatischen Verhärtung“ der Partei. Unbefangenheit und Breite des Ansatzes gewissermaßen der ersten Stunde, so das Manifest, seien auf dem Altar links- traditionalistischer Dogmen geopfert worden. Was einst die Stärke der Grünen gewesen sei, „daß man nicht wußte, ob sie nun rechts oder links seien“, sei von den „traditiionellen Fronten“ wieder eingeholt worden. Ob „Fundi“ oder „Realo“, beide sind in den ökolibertären Augen Gefühlslinke, die im wesentlichen nur noch durch Anleihen aus dem linkssozialisitschen bis sozialdemokratischen Spektrum glänzten. Hier siedeln die Manifestler auch irgendwo den möglichen Endpunkt der Grünen an, im Mutterschoß der SPD oder in der Einkapselung in eine linkssozialistische Partei.
Deshalb wollen die Ökolibertären eine Entscheidung zugunsten einer ökologischen Reformpartei mit einem gleichwohl fundamentalen Impuls Lothar Späth. d.S.: „Es geht um die Perspektive eines ganzen Zivilisationsmodells und deshalb auch um mehr als bloß reperaturökologische Maßnahmen“.
Für die Bereiche Wirtschaft, Staat und Demokratie versucht das Manifest, „Perspektiven“ zu entwerfen. Sie sind nicht unbedingt neu, nicht frisch, könnten aber durchaus die Fahrkarte sein, um wieder mit der „Gesellscahft ins Gespräch“ zu kommen. Ob Lambsdorffianer (“Totengräber der Marktwirtschaft“) oder Stamokaps bei den Grünen (siehe Stahlkrise), beide kriegen ihr Fett ab.
Eine Marktwirtschaft, etwa, entstehe nicht von selbst als dezentrale und basisdemokratische Veranstaltung, sie müsse hergestellt und gesichert werden – als ökologische Markttwirtschaft, in der die Ökonomie „entsakralisiert“ wird. Die Gesellschaft, stellen die Ökolibertären fest, „hat weder Grund noch Zeit, auf die Lernprozesse der Industrie zu warten“. Um den zu befördern, wollen sie zwar auch eine staatliche Ordnungspolitik als notwendiges Übel, beziehen aber auch das „unten“ mit ein: „Solange die Gesellschaft keine Ethik der freiwilligen Selbstbeschränkung (die nichts Griesgrämiges haben muß) an Boden gewinnt, bleibt die ökologische Marktwirtschaft im Räderwerk des Industrialismus gefangen“. Angesichts der Atommafia und ihrer Skandale schließen die „Ökolibs“ keineswegs Verbote aus, verfallen aber nicht in pure Ausstiegsrethorik eines unpragmatischen Maximalismus, sondern fordern, „so seltsam das klingen mag“, wie sie zugeben, „Umsicht, Geduld und den Verzicht auf die große Geste“.
Komplexität und Risikogesellschaft sind die Stichworte, die sie endlich im grünen Parteikurs verankert wissen wollen. (“Man kommt in neue Gefahrenlagen schneller rein als wieder aus ihnen heraus.“) Praktisch schließt sich daran die Forderung nach Institutionalisierung von Gegenforschung in den Zentren der Wissenschaft an, daß sich Kontrahenten und Laien an einen Tisch setzen. Gleichzeitig glauben sie aber, daß es „nur auf dem Wege der Dezentralisierung möglich ist, wieder Orte zu schaffen, an denen risikolos dem trial-and-error-Verfahren gefrönt werden kann“.
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