: Ein „neues Gesicht“ für Kiels CDU
■ Auf dem CDU–Landesparteitag in Schleswig–Holstein bereiteten die Delegierten ihrem Chef Stoltenberg einen kühlen Empfang / Neuer Spitzenkandidat ist Justizminister Hoffmann / Deftige Niederlage für Kerssenbrock
Von Gabriele Hiller–Ohm
Timmendorfer Strand (taz) - Nicht nur draußen an der Ostsee, auch im Saal war Frost angesagt. Die 410 Delegierten zum Landesparteitag der CDU Schleswig– Holstein erteilten ihrem Vorsitzenden, Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, während des zweitägigen Parteitages am Timmendorfer Strand eine deutliche Abfuhr. Sie ließen den ovationsverwöhnten Stoltenberg bei zwei Anträgen abblitzen und zeigten ihm auch während seiner Eröffnungsrede die kalte Schulter. Nur 272 Delegierte waren rechtzeitig erschienen, um den Worten ihres Vorsitzenden Beachtung zu schenken. Die CDU Schleswig–Holstein hatte sich un ter den riesigen Lettern eines Wahltransparentes „Neu denken!“ formiert. Doch Stoltenbergs Rede löste diesen Vorsatz nicht ein. Vergangenheitsbewältigung a la Stoltenberg: Es geht darum, bleibende Lehren aus dem Fehlverhalten einiger, der Wahlniederlage und dem erschütterten Vertrauen zu ziehen, sagte der CDU–Chef zur Barschel–Affäre. Und: „Auch wenn es einzelne waren, mit deren Handeln die schlimme Affäre verbunden ist, wir müssen solidarisch Mitverantwortung für die Folgen übernehmen und den Neubeginn glaubhaft sichtbar machen.“ Und so sah der „glaubhafte Neubeginn“ der Nord–CDU am Wochenende aus: Fraktionsvorsitzender Klaus Kribben konnte zwar nach Heiko Hoffmann den Listenplatz 2 besetzen, erhielt von den über 400 Delegierten aber nur 286 Ja–Stimmen. Er wird sich einige Hoffnungen abschminken müssen. Alptraumhafte Abstimmungsergebnisse gab es für den streitbaren Trutz Graf von Kerssenbrock, der im Zusammenhang mit der Barschel–Affäre einigen Parteifreunden öffentlich gehörig auf die Füße getreten war. Das mochten die solidaritätsgewöhnten Parteifreunde dem Grafen nicht verzeihen, schickten ihren Kritiker bei seinen drei Versuchen, einen Listenplatz zu ergattern, in die Wüste. Neues Denken? Generalsekretär Rüdiger Reichardt hingegen wurde unter Beifallsstürmen und mit Blumensträußen verabschiedet. Das Gerangel um die Listenplätze dauerte neun Stunden. Die Frauen blieben auf der Strecke. Nur vier schafften den Sprung in die Liste. Keiner der Kandidaten bzw. Kandidatinnen wollte auf den Fahrschein ins Kieler Landeshaus verzichten. Das Vertrauen in sichere Direktwahlkreise ist nach der Wahl im letzten Jahr, am 13. September dahin. Nur 16 der 33 Abgeordneten schafften den direkten Sprung in den Landtag. Klarer Sieger des Marathon– Parteitages war Spitzenkandidat Justizminister Heiko Hoffmann. Er konnte 386 von 401 gültigen Stimmen bei 10 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen auf sich vereinigen. Mit Heiko Hoffmann, dem Hoffnungsträger der Basis, hat Politik nun ein neues Gesicht - so zu lesen auf meterhohen Transparenten, die just nach dem Wahlgang, von Beifallsstürmen begleitet, im Saal heruntergelassen wurden. Sie zeigen den zurückhaltenden, vermeintlich vertrauenserweckenden Politiker mit Nachdenker–Image. Nichtsdestotrotz, Hoffmann gab sich kämpferisch. „Die Zukunft beginnt hier und heute. Im ehrlichen Aufarbeiten, in der Einsicht und im Lernen steckt die Kraft der Krise.“ Sein Patentrezept zur Verbesserung der Verständigung nach innen und außen: „Wir sollten mehr miteinander reden.“ Als wichtigste politische Aufgabe formulierte er die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Zukunft aufgeschlossen einerseits, so präsentierte sich Hoffmann aber auch als Wahrer der kulturellen Tradition, der das typische Dorfbild in Schleswig– Holstein erhalten und gleichzeitig einen Strukturwandel in der Landwirtschaft durchsetzen will. Zum Thema Atomenergie: Sie sei gegenwärtig durch keine andere Energieform zu ersetzen. Atomenergie - und das ist neu in der CDU - sei eine Übergangsenergie. „Deshalb wird es in Schleswig–Holstein in meiner Verantwortung keine neuen Kernkraftwerke geben.“ Wo sollten die wohl auch noch hin.
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