: Gegen die „verliebten Pennäler“
■ Gespräch mit Rezzo Schlauch: Grüne wollen keine wechselnden Mehrheiten
Auch wenn sich die baden–württembergischen Parlamentsfraktionen von SPD und Grünen in den vergangen Jahren stritten, auch wenn es in Debatten oft schien, als säße der Hauptgegner der Grünen in den Reihen der Sozialdemokraten, die Bereitschaft zu punktueller Zusammenarbeit wäre doch allemal da. Das könnte in der nächsten Legislaturperiode anders werden. Dieter Spöri, der Spitzenkandidat der SPD, so die Grüne Wahlkampflokomotive Rezzo Schlauch, „kokettiert mangels eigener Perspektiven und Machtoption wie ein verliebter Pennäler“ mit der Vorstellung einer großen Koalition. Regelrecht unseriös sei es, meint Schlauch, wenn die SPD im Wahlkampf immer noch so tut, als gebe es Unterschiede zwischen ihr und der CDU, und ihre Wähler im unklaren läßt, ob nach der Wahl koaliert wird oder nicht. Und nicht einmal neu sei das Verhalten der SPD, schimpft Schlauch; in Fragen von Ökologie und Ökonomie, bei der Zustimmung zur Daimler–Ansiedlung in Rastatt, dem Bau einer Daimler–Teststrecke in Boxberg, im Straßenbau, Landesmediengesetz und in der Hochschulpolitik habe auch schon bisher eine heimliche große Koalition bestanden. Daß es der populäre Grüne Abgeordnete Rezzo Schlauch jetzt so leicht haben würde, auf die verschwiegenen Ambitionen der Sozialdemokraten einzuschlagen, war im vergangenen Herbst noch nicht abzusehen. Lothar Späth, hieß es damals in einem Grünen Papier - das auch Schlauch unterschrieben hatte - könne man nach dessen Verlust der absoluten Mehrheit doch tolerieren, um dann über wechselnde Mehrheiten auch eigene Positionen durchzusezten. Ein Aufschrei der Grünen Basis stoppte den Vorschlag. Seither, und weil mit der Ökopartei eh niemand will oder kann, sehen sich die Grünen als einzige Opposition im Land. Völlig unabhängig auch von der SPD, meint Schlauch, wolle man auch die kommenden vier Jahre opponieren. Im Stil wie bisher soll der Kampf um den Ausstieg aus der Atomenergie weitergeführt werden, mit einem Untersuchungsausschuß soll der baden–württembergische Atomfilz aufgedeckt werden. Außerparlamentarische Untersützung, wenn auch indirekt, erhofft man sich von den zahlreichen Bürgerinitiativen im Land. Auf ein neues Oppositionsfeld der Grünen darf man gespannt sein. Seit vor Wochen eine Wirtschaftsanalyse der IG–Metall und deren Vorschläge zur ökologischen Produktion für Furore sorgten, sehen die baden–württembergischen Grünen neue Partner und ein neues Terrain zur Zusammenarbeit. Bisher, so Schlauch, habe man die Gewerkschaften immer als Teilhaber uneingeschränkter Wachstumsideologie betrachtet, jetzt würden auf „höchster Ebene“ Kontakte geknüpft. Auch wenn sich das zum Wahltag in einer Woche noch nicht in Zahlen ausdrücken wird, in der Provinz werden die Grünen längst als ernstzunehmende Opposition begriffen. Die Veranstaltungen der Grünen Wahlkämpfer sind voll, und mit großer Sympathie hören sich Bäuerinnen und Bauern die Vorstellungen der Grünen zur regionalen Strukturpolitik an. Wenn das alles am kommenden Wochenende nicht zum Bruch der absoluten CDU–Mehrheit führen sollte, sorgt sich Rezzo Schlauch, dann wegen der Schwäche der anderen Spitzenkandidaten, wegen denen, die den Bruch brauchen, um einen Fuß ins Regierungsgeschäft zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen