„Noch nicht ausgekämpft“

Der Spagat ist Hans–Jochen Vogel voll gelungen. In seiner Entschließung, die der Parteivorstand am Montag abend übernommen hat, kann sich jede Seite wiederfinden. Oskar hat das gewonnen, sagen diejenigen, die seinen Querschuß im Grunde ganz gut fanden. Und die Gewerkschaften konnten die Entschließung als Beitrag zur „Versachlichung der Diskussion“ bewerten: Denn das Papier betont, daß Arbeitszeitverkürzung nur ein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei und die Erhaltung der Nachfrage, die Steigerung der öffentlichen Investitionen, ein Kurswechsel in der Steuer–, Arbeitsmarkt– und Sozialpolitik der Bundesregierung „keinesfalls weniger wichtig“ sei. Das ist eine klare Kritik an Lafontaine - „sachlich völlig gerechtfertigt“, wie Peter von Oert zen, Mitglied der SPD–Programmkommission und eines ihrer linken Aushängeschilder, betont. Die Vorstellung, mit tariflichen Arbeitszeitverkürzungen die Massenarbeitslosigkeit beseitigen zu wollen, sei „falsch“ und „eine der größten Schwächen des Lafontaine–Vorschlages“. Damit, meint Peter von Oertzen, wecke man Hoffnungen, die man gar nicht erfüllen könne - oder allenfalls nur punktuell, bei den Lehrern z.B.. In der Diskussion um das neue Grundsatzprogramm wird die Frage Arbeitszeitverkürzung mit oder ohne vollen Lohnausgleich nur am Rande eine Rolle spielen. Statt dessen rückt jetzt die grundsätzlichere Diskussion um den künfigen Arbeitsbegriff der Sozialdemokratie in den Mittelpunkt. Und Oskar Lafontaine, geschäftsführender Vorsitzender der Programmkommission, hat das Kapitel zur „Zukunft der Arbeit“ als seinen Schwerpunkt definiert: In diesem Bereich will er die Akzente setzen. Im Irseer Entwurf sind die gegensätzlichen Positionen noch mit einer vagen Sowohl– als–auch–Formulierung verpackt: „Im Mittelpunkt unseres Ringens um Reformen steht also die Erwerbsarbeit...“. Und: „Darüber hinaus wollen wir allerdings verstärkt für die gesellschaftliche Anerkennung solcher Arbeit werben, die Menschen außerhalb des Erwerbssektors leisten.“ Der Streit ist also schon länger angelegt, „aber noch nicht ausgekämpft“, wie Peter von Oertzen sagt. „Es wird eine differenziertere, weitere Formulierung geben“, meint von Oertzen, eine Formulierung, die herausstelle, daß die Erwerbsarbeit für die moderne Sozialdemokratie nicht das einzig wichtige ist. Auch von Oertzen findet an dem Lafontaine–Vorstoß alles richtig, was auf eine „Neubewertung von Arbeit“, auf eine „Umverteilung von Arbeit und Einkommen“ zielt. Allerdings dürfe man nicht nur eine „Aufwertung“ der Haus– und Familienarbeit vornehmen, sondern diese Arbeit müsse auch finanziell vergütet werden: „Das läuft sonst auf eine neue Mutterkreuzideologie hinaus.“ Lafontaines Vorstoß zur Neubewertung von Arbeit ist auch innerhalb der SPD nicht neu: Die ersten Initiativen kamen von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), haben jedoch innerparteilich nie ein großes Echo gefunden. Innerhalb der Programmkommission gab es schon öfter leises Gerangel: Da sind die Gewerkschaftsleute, die sagen, die Erwerbsarbeit müsse der einzig wesentliche Bezugspunkt bleiben. Das sei „rückwärts gewandt, auch wenn für Sozialdemokraten der Stellenwert der Erwerbsarbeit im Leben der Menschen unersetzbar bleibt“, schrieb Inge Wettig– Danielmeier, Vorsitzende der AsF und Mitglied im Vorstand der Programmkommission, in einem Papier, das sie auf der vorletzten Sitzung der Kommission präsentierte. Ohne ein „integriertes Arbeitskonzept“, ohne „gleiche Verteilung und damit gleiche Wertigkeit“ von Erwerbs– und Familienarbeit sei eine wirkliche Gleichheit zwischen Mann und Frau nicht möglich. Gerade deshalb fordere die AsF den Sechs– Stunden–Normal–Arbeitstag. Die Familienarbeit müsse für jeden Politiker und Gewerkschafter bei der Gestaltung der Erwerbsarbeit die Vorgabe werden - und nicht umgekehrt, wie bisher. Die Orientierung auf einen integrierten Arbeitsbegriff hat die Kommission bereits akzeptiert. Franz Steinkühler war allerdings auf dieser Sitzung der Programmkommission nicht anwesend, Hermann Rappe nur zum Teil, und Ilse Brusis hält sich in diesen Fragen eher bedeckt. Aber der Teufel steckt auch hier im Detail. Bereits bei dieser Sitzung der Programmkommission sagte Inge Wettig– Danielmeier, es sei völlig unmöglich, allein durch die „Umwertung“ bisher mißachteter Arbeit gesellschaftliche Gleichheit herzustellen. Und darum haben auch die meisten SPD–Politikerinnen im Parteivorstand und in der Programmkommission viel Kritik am Gedanken der Grundsicherung, den Lafontaine ins Spiel gebracht hat: Die SPD–Abgeordnete Renate Schmidt sah darin den Versuch, einen „Beruf mit Sozialhilfe–Entlohnung für den Verzicht auf Erwerbsarbeit zu schaffen“. „Das machen wir nicht mit“, meint Wettig–Danielmeier. Ursel Sieber