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Türkei: Geheimdienst beschnüffelte Generäle

■ Geheimdienstbericht über das Privatleben der Putschgeneräle wurde einer linken Zeitung zugespielt / Kommentatoren vermuten Regierungschef Özal hinter der Bespitzelungsaktion / Türkische Öffentlichkeit wühlt im bisherigen Tabu–Bereich

Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Die Gelder, die von den Bordellen und Striptease–Lokalen erpreßt wurden, teilen der Polizeipräsident und weitere hohe Polizeibeamte unter sich auf.“ „Der Gouverneur von Istanbul arbeitete mit Schmugglern und Bordellinhabern zusammen.“ „Es ist bekannt, daß der Kriegsrechtskommandant von Istanbul, Necdet Ürug, eine Schwäche für Frauen hat. Ürug pflegte gute Beziehungen zur Unterwelt.“ Die jüngsten Schlagzeilen der türkischen Tagespresse scheinen aus einem Polit–Thriller abge schrieben - schier unglaublich sind die Geschichten über Sex und Crime der Generäle, die sich 1980 an die Macht geputscht hatten. Und doch beruhen die Schlagzeilen auf einer hochoffiziellen Quelle: einem Bericht des türkischen Geheimdienstes MIT. Vor wenigen Tagen war die bis dato als Staatsgeheimnis gehandelte Untersuchung der linken Zeitschrift 2000 zugespielt worden. Seitdem ist der Bericht in aller Munde und wird von den seit dem Putsch entmündigten türkischen Bürgern genüßlich kolportiert. Bettgeschichten von Generälen, Gouverneuren und Polizeipräsidenten gehörten schließlich zum absoluten Tabu–Bereich in der türkischen Öffentlichkeit. Entsprechend schwer tat sich die Regierung Özal mit den Enthüllungen ihres Geheimdienstes. „Ein solches Dokument existiert nicht“, hatte Ministerpräsident Özal unmittelbar nach der Publikation noch behauptet. Auch der Staatspräsident und Ex–General Kenan Evren ließ mitteilen, ein solcher Geheimdienstbericht sei ihm nicht zugegangen. Linksradikale Zersetzung staatlicher Institutionen werde betrieben. Tage später stellte sich die Echtheit des Dokuments heraus. Der Bericht war sowohl dem Staatspräsidenten als auch Özal zugegangen. Es sei aber nur ein Vor– und kein Abschlußbericht, daher sei das Dokument nicht ofiziell, versuchte sich Özal herauszureden. Die Regierung hat sich bislang nicht zu den ungeheuerlichen Behauptungen des Geheimdienstberichtes geäußert. Ein Antrag der Oppositionsparteien, in dem sie eine parlamentarische Untersuchung forderten, wurde von der regierenden Mutterlandpartei zu Fall gebracht. Es scheint, daß die Staatsmacht an einer Aufklärung der Vorwürfe, die in dem Bericht aufgestellt werden, nicht interessiert ist. Der Urheber des Geheimdienstberichts, Nehmet Eymür, ist - als wäre nichts vorgefallen - immer noch in Diensten des Geheimdienstes. Statt dessen wird Journalisten, die den Bericht publizierten, von den Richtern der Prozeß gemacht. Türkische Kommentatoren mutmaßen bereits, daß der Bericht auf Geheiß Özals erstellt wurde. Denn auch führenden Politikern der „Partei des rechten Weges“, der schärfsten Konkurrenz Özals, werden in dem Bericht Beziehungen zur Unterwelt unterstellt. Außerdem soll der frühere Generalstabschef Ürug militärpolitischen Strategien der USA kritisch gegenüber gestanden und so den Zorn Özals auf sich gezogen haben. Unterdessen ging Özal, dem der türkische Geheimdienst untersteht, ein Schreiben des ehemaligen Generalstabschefs Ürug zu, in dem dieser die Zahlung einer Entschädigungssumme von 200 Millionen türkischer Lira verlangt. Falls der Ministerpräsident binnen 60 Tagen die Summe nicht zahlt, will der Ex–General vor das Verwaltungsgericht ziehen. Bislang war der türkische Geheimdienst dafür bekannt, linke Gewerkschafter und Studenten zu bespitzeln. Die Anzahl der geheimdienstlich erfaßten türkischen Bürger, die im Jahr 1974 noch 40.000 betrug, beträgt heute 1.700.000. „Ehrbare Institutionen der Republik dürfen nicht mit Dreck beworfen werden“, meint Staatspräsident Evren. Der Skandal stellt die Herrschenden nun vor eine schwierige Frage: Was tun, wenn der ehrbare Geheimdienst nicht der Denunziation der Linken nachgeht, sondern Gesinnungsgenossen - Generäle, Polizeipräsidenten und Politiker - bespitzelt?

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