: Stimmenfang mit Fußball, Volk und Vaterland
■ Letzte Wahlveranstaltung zur Landtagswahl, des baden–württembergischen Kultusministers Gerhard Mayer–Vorfelder: „Es steht Spitz auf Knopf“ / Der Rechtsausleger geht mit Ausländern, „Emanzen“ und seinen politischen Gegnern ins Gericht
Aus Stuttgart Dietrich Willier
Kaum einer hatte sich in den letzten Jahren in Baden–Württemberg so sehr um eine Wende im Kopf von Lehrern, Schüler und Eltern bemüht wie grade Mayer–Vorfelder, der Kultusminister und Präsident des VFB. Zwölf Jahre hatte der unter dem „schrecklichen Richter“ Filbinger gedient: „Ich bereue nichts, das waren gute Jahre“, Waffendienst bei der Bundeswehr und Adenauer–Ära hatten Mayer–Vorfelder erzogen. Seit zwei Legislaturperioden ist der Mann Minister, und wird es bleiben - vorausgesetzt, der deutsche Fußballbund macht ihn nicht zum Präsidenten. Mayer–Vorfelder, der schneidige Reserveoffizier, liebte es schon mal, im Kampfanzug bei seinen Kabinettskollegen aufzutreten. Wegen einer Zeitungsannonce zur Friedenspolitik schwang der Minister den Knüppel des Disziplinarverfahrens. Seine Kollegen Werbeoffiziere dürfen an Schulen ungehindert für den Frieden unter Waffen werben, Kriegsdienstverweigerer sind ausgeschlossen. Kaum einer verfolgt so unerbittlich kommunistische Beamte mit Pensionsanspruch. „Demonstrierende Chaoten“ in Wackersdorf und anderswo hält Mayer–Vorfelder für schlimmer noch als die SA, und empfiehlt baden–württembergischen Schulen stattdessen das ultrarechte Deutschlandmagazin zur Lektüre. Hand in Hand mit Mitgliedern der „Konservativen Aktion“ eines Ludek Pachmann, demonstriert der Minister öffentlich Nationalbewußtsein, alle drei Strophen des Lieds der Deutschen werden abgesungen. So solls auch in den Schulen sein. Die Liste wäre beliebig fortzusetzen. Jetzt steht der Minister und Rechtsauslger der CDU erneut zur Wahl. Eine Generation Baden– Württemberger wenigstens, vom Kindergarten bis zum Abitur, will er dann erzogen haben. Spitz auf Knopf stünde es, bei dieser freien Wahl im freien Teil Deutschlands, ruft er den Zuhörern seiner letzten Wahlveranstaltung am Donnerst agabend zu. Selbst mit geballter linker Faust könne man mit der Rechten noch ein Wahlkreuz für die Christdemokraten malen. Der Mann kommt an, der Saal eines Vereinsgasthauses ist bis auf den letzten Platz gefüllt. „Gut drauf“ verkünden papierne Wahlfähnchen der CDU zwischen großen Bieren. Diffamiert werde er, klagt Mayer–Vorfelder, von den Sozialdemokraten und der FDP. Pause - mit napoleonischer Geste schiebt der Minister die rechte Hand ins Revers des modisch braunen Blazers. Aber Spöri und Döring, die Spitzenkandidaten der Opposition würden die Wahl ihrer Worte noch bedauern. Die Drohung sitzt. Dann holt die rechte Hand aus, um in abgehackten Posen Politik zu machen. Hals und Brustkorb sind bedeutungsvoll nach vorn gedrückt, - „ein Ausländerwahlrecht wird es mit uns nicht geben“ - starker Applaus. Die Ausländer seien in Sportvereinen bestens integriert. Dann folgt ein abgehackter Reigen von Wahlkampfspots. Anders nämlich als Emanzen und Feministinnen glauben, ist die Frau im Lande anerkannt, nur nicht die Mutter, und das muß sich ändern. Neue Kinder braucht das Land, er, Mayer–Vorfelder habe vier, wenn auch von zwei Frauen (das sagt er nicht). Kinder, weiß der Minister zu berichten, hielten sogar Ehen zusammen, die ohne längst zerbrochen wären. „Und wir sind eine kinderfeindliche Nation“, eine aussterbende gar, wenn die Geburtenrate nicht endlich wieder steigt. Das sitzt, vor allem bei den Alten, es schürt die Angst vor dem Verlust der Altersrente. Seine Mutter, so Mayer–Vorfelder, hätte nicht lang herumgejammert nach dem Krieg: Deutschland stünde heute sonst nicht so da, wie es steht. Ja, der gesunde Menschenverstand, den kennt der Herr Minister, der wird auch gebraucht, und die Liebe zu Volk und Heimat, die Erziehung zur Gemeinschaft. Und weil diese freieste aller Demokratien je, solchen Wohlstand hervorgebracht hat, ist sie auch wert, sich für sie einzusetzen. Und in der Schule fängt das an. Ein Unding ist es, meint der Minister, daß Kinder lernen, wie Reis in Hinterindien angebaut wird, aber nicht wissen, wo der Bodensee liegt. Doch das wurde ja Gott sei Dank, seit seiner Amtszeit radikal geändert. Der Mann ist populär. Kaum ein Satz aus seinem Mund, wenn auch noch so schlicht, der nicht beklatscht wird. Der Minister, das spürt man, hat das Ohr am Arsch des Volks, und versteht es, das Gehörte ungefiltert wieder auszusprechen. Doch als eine alte Frau aufsteht, und berichtet, auch sie habe das zerbombte Deutschland wieder mitaufgebaut, und nichts dafür erhalten, endet der Abend. Die Elefantenrunde, Späth, Spöri, Schlauch und Döring, heißt es, die Spitzenkandidaten träten auf im Fernsehen. Die Vorstellung, Mayer–Vorfelders letzte bis zur Erneuerung des Ministeramts, ist beendet.
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