: Baustopp bei vollem Lohnausgleich
■ Italiens AKW–Ausstiegsspagat: Die Bauarbeiten am AKW in Montalto die Castro wurden eingestellt, die 2.500 Beschäftigten von der Regierung weiter bezahlt / Die kurzlebige Allianz zwischen Ökologen und Arbeitern scheint schon zu bröckeln
Von Werner Raith
Montalto die Castro (taz) - „Irgendwie“, sagt Pierluigi Gramita, während er seine vom Transparenthalten klammen Finger entspannt, „irgendwie kriegt man das fast schon unangenehme Gefühl, das Paradies sei ausgebrochen.“ Daß das Gefühl unangenehm ist, läßt sich verstehen - zu viele Dinge scheinen sich hier in Montalto die Castro nördlich von Rom auf einen Schlag zu lösen: Der Weiterbau des Atommeilers ist infolge eines Dekrets durch den Bürgermeister gestoppt, aber gleichzeitig hat die Regierung nach zähen Verhandlungen garantiert, daß die 2.500 am AKW–Bau Beschäftigen nicht Arbeitslosengeld, sondern den vollen Lohn weiterbekommen. AKW–Gegner reklamieren daher den Erfolg ebenso für sich wie die sonst bei Arbeitsplatzgefährdung eher umweltfeindlichen Gewerkschaften. Die Sozialisten nehmen den Erfolg für sich in Anspruch, weil sie sich dem Wiedereröffnungsdekret ihres bisherigen Alliierten Ministerpräsidenten Goria von der christdemokratischen Partei entgegengestellt haben und ihr Arbeitsminister Formica für die volle Weiterbezahlung eingetreten ist. Aber auch die AKW–freundlichen Republikaner klopfen sich auf die Schulter, da der von ihnen gestellte Industrieminister Battaglia den Lohnausgleichs–Vertrag mit unterschrieben hat. So richtig froh werden allerdings die aus Rom nach Montalto zurückgekehrten Kämpen allesamt nicht. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß sich die als triumphaler Einzug der Durchhaltematadore geplante Demo am Sonntag als schlichte Schnapsidee erweist. Nur ein dünnes Rinnsal von ein paar hundert vorwiegend grünen Kombattenten schlurft von der Baustelle zum Rathaus und hört sich die unermüdlichen Erfolgssprüche des Grünen Abgeordneten Massimo Scalia an; nach mehr als einer Woche Straßen– und Zugblockaden im nachwinterlichen Wetter und allerlei Pendelei zwischen den Kundgebungen vor Ort und denen in Rom sind die Leute offenbar froh, endlich ein ruhiges Wochenende zu erleben, noch dazu im ausgebrochenen Frühling. Beunruhigt sind die Umweltschützer vor allem, weil sich die Arbeiter seit dem Verhandlungserfolg rar machen. Kaum begonnen, scheint die Koalition aus Werktätigen und Ökologisten schon wieder zu bröckeln. Themen wie die Tränengasgranaten der Polizei gegen die Demonstranten in der Vorwoche streift man am besten gar nicht mehr - die Frage, ob die vier Verletzten in ihrer Eigenschaft als AKW–Gegner oder als lohnfordernde Arbeiter getroffen wurden, spaltet die „Bewegung“ zutiefst. Leicht auszurechnen, daß sich Italien die Aktion „AKW weg - bei vollem Lohnausgleich“ (Plakattext) nicht lange wird leisten können - mehr als umgerechnet eineinviertel Millionen DM kostet sie den Staat täglich. Und dabei wird es nicht bleiben, wenn die mehr als ein Dutzend angekündigten Volksabstimmungen nun auch gegen andere Großkraftwerke (mit Wasserkraft oder Kohle) und gegen umweltgefährdende Chemiezweige Erfolg haben. „Wenn es denen gelingt, auch nur ein Drittel ihrer Blockadevorhaben zu verwirklichen“, läßt Industrieminister Battaglia wissen, „dann geht damit bereits mehr als ein Viertel des Staatshaushaltes alleine mit Lohnfortzahlungen drauf.“ Das mag stimmen oder nicht - der triumphale Blick im Gesicht des Industriellen–Förderers ist auch den Grünen nicht entgangen; er zeigt, daß er zuversichtlich auf die langfristige Erosion des Umweltschutzes und damit den Bruch der Allianz aus Grünen und Arbeitern rechnet: „Kräftige Steuererhöhungen um gleich mehrere Prozent werden sich da nicht vermeiden lassen“ - im Land der höchsten Abgabenbelastung Europas eine echte Drohung. Pierluigi Gramita ist darüber so ins Sinnieren gekommen, daß er erst am Abend wieder aus seinem Brüten erwacht - mit den schon fast drohend gegen seinen Grünen Nachbarn Francesco La Perla aus Rom ausgestoßenen Worten: „Irgendwer wird dafür zahlen müssen. Und sicher ist, daß es weder die Industrie noch die Politiker sind. Bezahlen werden wir es wohl am Ende wieder selbst, wir Arbeiter. Wir alleine.“ Der Unterton ist, wenn auch die Worte nicht ausgesprochen sind, nicht zu überhören - auch ihr Grünen werdet die Zeche nicht bezahlen, sondern ich mit meinen Kumpeln. Die Umweltschützer suchen zu retten, was zu retten ist: unent wegt mühen sich Massimo Scalia und der Physiker Gianni Mattioli, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ihre bis ins Detail ausgetüftelten und schlüssigen Pläne zur Umsetzung der Arbeitskräfte in andere Produktionsbereiche schmackhaft zu machen. Viel Glauben finden sie dabei nicht - zu unwahrscheinlich klingt den Leuten hier, daß bei sowieso schon drei Millionen Arbeitslosen im Land ausgerechnet ihnen in fremden Arbeitsbereichen Plätze freigemacht werden. Auch die Umwandlung der bereits fertiggestellten Gebäude in eine Methangas–Anlage findet wenig Anhang, seit eine Expertenkommission das Vorhaben als unrentabel ausgeschlossen hat. So macht sich unter der Hand in Montalto schon wieder ein Phänomen breit, das die Grünen als fundamentale Gefahr für ihre künftigen Pläne empfinden: „Warum sollen wir nicht weiterbauen?“, fragt ein Arbeiter abends in einer Bar unverblümt, „bis das Ding fertig ist - solange wir drin sind, kommt kein Uran rein. Dann könnt ihr mit euren Gutachten von der Gefährlichkeit kommen und schließen können wir dann immer noch. Aber inzwischen haben wir unsere Arbeitsplätze und unseren Verdienst.“ Eifriger Protest der Grünen; doch der Mann bleibt dabei. Außerdem: „So, wies jetzt ist, hält die Sache doch allenfalls bis zur Bildung der neuen Regierung.“ Da könnte er Recht haben. Schon zeigen Äußerungen der vordem so anti–AKW–festen Sozialisten, daß sie das Problem Montalto neuerdings wieder als „offen“ betrachten. Will heißen, daß sie die Frage allenfalls als Faustpfand für die Verhandlungen mit dem designierten neuen DC–Regierungschef Ciriaco De Mita und gegen die ungeliebten Industrie–Hätschelkinder von der Republikanischen Partei ansehen - im übrigen jedoch den Weiterbau der Anlage ebenso wie deren völlige Schließung und damit Arbeitslosigkeit (ohne Lohnausgleich) für möglich erachten. Wer in beiden Fällen die Prügel dafür bekommt, wissen die PSI– Freunde auch schon - nicht sie, sondern die Grünen. Denen nämlich, so ein internes „Positionspapier“, kann man beides ans Heft kleben - ein Weiterbau der Anlage zeigt ihre Schwäche und blamiert sie vor ihren Anhängern nach all den großen Erfolgsmeldungen, und eine Schließung bringt die Arbeiter gegen sie auf. Allzu ruhige Zeiten stehen den Umweltschützern in Italien wohl auch weiterhin nicht bevor.
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