Die tödliche Routine

Forst (taz) - „Ich dachte, die fliegt direkt in unser Haus“, erzählte Ernst Schröder. Doch dann gab der Pilot der Maschine wohl noch einmal einen „Schubs“ und „da war sie auch schon über die Gärtnerei hinweg“. Rund 100 Meter weiter bohrte sich die amerikanische F16 durch drei Häuser, um dann vollends zu zerbersten. Die umherfliegenden Trümmer des Bombers beschädigten zwei weitere Gebäude. Ein LKW und die drei Wohnhäuser in der Hardtstraße in Forst brannten sofort. Für den 62jährigen Rentner, Theo Huber, den Bruder des Forster Bürgermeisters Alex Huber, kam jede Hilfe zu spät. Er wurde von den einstürzenden Teilen des Wohnhauses erschlagen und verbrannte dann bis zur Unkenntlichkeit. Auch der Pilot des Kampfflugzeuges wurde nur noch tot geborgen. Herbert Loes arbeitete gerade in der Backstube, als er die Kampf maschine heranjaulen hörte. „Das klang nicht so wie immer“, berichtete er. Als er dann einen „ohrenbetäubenden Knall“ hörte, „wußte ich, daß die drüber war“. Seine Frau bediente in dem Moment ein paar Kunden im Bäckergeschäft in der Bruchsaaler Straße. Von ihrem Schaufenster aus sah sie dann „plötzlich riesig Qualm aufsteigen“. Daß durch die Katastrophe nicht mehr Opfer zu beklagen sind, liegt vor allem daran, daß die Anwohner nicht zu Hause waren. Die Familie Böse war just beim Einkaufen, andere zur Arbeit gegangen, bis eben auf den Rentner Theo Huber, dessen Bruder seit Montag am Comer See Urlaub macht. Und 50 Meter von der Unglücksstelle entfernt fließt der Hauptverkehr über die B 35 nach Bruchsal. Mehrere Augenzeugen berichteten, das Jagdflugzeug sei schon qualmend auf Forst zugerast. Zuvor war es über das Bruchsaler Krankenhaus gedonnert. Die F16 befand sich mit einer zweiten Maschine auf dem Rückweg zu ihrem Standort Hahn im Hunsrück. 500 Schuß Übungsmunition für die 20–Millimeter– Bordkanonen hatte der Pilot dabei. Ab und zu explodierte mal das eine oder andere Geschoß in Forst. Landrat Ditteney: „So ungefährlich, wie die immer tun, sind die Dinger auch nicht“. Der entsprechende Munitionstyp enthält nämlich einen kleinen Treibsatz, der sich durchaus entzünden kann. 31 Forster Bürger wurden sofort nach dem Absturz evakuiert. Drei Feuerwehrleute erlitten Rauchvergiftungen und mußten in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Sie hatten anfangs ohne Atemschutzgeräte die Brände bekämpft. Hektische Aktivitäten lösten dann Hinweise der Amerikaner aus, wonach sich an Bord des Bombers ein Kanister mit dem hochtoxischen Hydrazin befand. Kommt diese Substanz mit Wasser oder Luft zusammen, bilden sich sofort extrem gefährliche Gase, die Lungenödeme beim Menschen hervorrufen. Angesichts der anfänglichen Ungewißheit über den Verbleib des Hydrazins beorderte man auch den Toxikologen des Bruchsaler Krankenhauses, Dr. Gerhard Spöri, nach Forst. Der verabreichte Feuerwehrleuten und Anwohnern „inhalatives Kortison“. US–Major Gregory Smith berichtete vor Journalisten, man könne davon ausgehen, daß der Hydrazin–Kanister zerborsten sei. Doch später hieß es dann, der Kanister sei „unversehrt geborgen“ und die Amerikaner hätten ihn „sofort abtransportiert“. Überzeugen konnte sich davon allerdings niemand. Die Todesmaschine befand sich auf einem „Routineflug“. Der Landkreis Karlsruhe gehört zu den Tiefflugzonen in der BRD und dient als Einflugschneise für Zielobjekte in Eifel und Hunsrück. Seit Jahren, so ereiferte sich Landrat Ditteney, laufe er „Sturm gegen die Tieffliegerei“. Erfolglos. Als Ditteney vor rund zwei Jahren gemeinsam mit 35 Bürgermeistern, unter ihnen auch der Forster Bürgermeister Alex Huber, auf der Haardthöhe in Bonn vorsprach, bedeutete man ihnen, „wir sind eben in der NATO und die Flüge sind notwendig“. Geändert hat sich seitdem für die Karlsruher nichts. Rund 90.000 Tiefflugbewegungen gibt es jährlich in der BRD. Ungefähr 60 Prozent gehen davon auf das Konto der Alliierten, für 40 Prozent zeichnet die Bundesluftwaffe verantwortlich. Vor ein paar Jahren krachte es im Kreis Karlsruhe schon einmal. Damals bohrte sich eine führungslose französische Mirage in den Garten eines Wohnhauses in Oberderdingen. Nur eine Mauer verhinderte, daß die daneben spielenden Kinder getötet wurden. Der Pilot des Bombers war bereits in der Nähe von Bonn ausgestiegen. Die Maschine flog von diesem Zeitpunkt an alleine weiter. Oberstleutnant Jürgen Mittermaier, der Kommandeur des Kreises Karlsruhe, behauptete dagegen, daß jeder Pilot das Flugzeug noch in ungefährliche Zonen lenken würde. Die Absturzstelle in Forst spricht eine andere Sprache. Ganze zehn Flugsekunden von Forst entfernt liegen die zwei Atomreaktoren von Philippsburg. Beide sind nicht für den Aufprall eines F16 ausgelegt. Rund 12 Flugsekunden entfernt befindet sich das Atomforschungszentrum Karlruhe mit seinem Schnellen Brüter, einer WAA in Kleinausgabe, einem Atomreaktor und mehreren Lagern mit hochradioaktivem Material wie Brennstäben und Plutonium. Bereits am Donnerstag abend gab es in Forst eine kleine Demonstration. „Wer schützt uns vor unseren Beschützern?“ konnte man au einem Transparent lesen. Und am gleichen Abend erklärte das Bundesverteidigungsministerium, daß die Routineflüge unverändert auch über Forst weitergehen werden. Felix Kurz