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Die Freien Radios sind „cool“ geworden

■ 1981 öffnete Mitterrand die Frequenzen für Freie Radios / Auch in Saint Dizier ist von der Anfangseuphorie nicht viel übriggeblieben

Ein weißer Betonblock, rund um einen Kreisel gebaut, so gigantisch, daß er wohl nur einen kommunistischen Bürgermeister entzücken kann. Zwischen Supermarkt und Frisiersalon haust hier in einem Blockloch Radio FMR, das lokale, freie Radio von Saint–Dizier. Yves ist nach eigener Auffassung Anarchist in der kommunistischen Stadt. Bertrand ist Kommunist, Liberaler, Faschist, wie ich es gerade will, sagt er. Yves, Jazz–Fan in Latzhose und Bertrand, Rockspezialist in New– Wave–Look, haben das einzige unabhängige, nicht profitorientierte Medium des Departement im Griff - Radio FMR. Sie haben sich durchgesetzt mit Kommerzmusik und Werbung gegen alle großen und kleinen Sender, gegen Lokalpolitik und Provinzpresse. Aber sie sind nicht verliebt in ihren Erfolg: „Wir nehmen uns nicht ernst, das ist unsere Stärke.“ Den Startschuß gab Mitterrand 1981. Er hielt sein Versprechen, er gab die Frequenzen frei. Yves und Bertrand warteten nicht lange, gründeten einen gemeinnützigen Verein und gingen auf Sendung: Szene–Rock aus London, New York und Saint–Dizier, Free–Jazz und Beethoven machten das Programm. „Wir waren Total–Amateure.“ Doch die erste Rechnung der Sozialisten ging nicht auf. Sie hatten den gemeinnützigen Radio–Clubs, die in ganz Frankreich wie Pilze aus dem Boden sprossen, Subventionen versprochen und FM–Werbung untersagt, allein - das Geld für so viele fehlte bald. Es dauerte nicht lange, und im liberalistischen Sog des Jahres 1984 schmiß Paris schließlich auch die freien Radios auf den Markt. Yves und Bertrand mußten entscheiden. Zwei Möglichkeiten bot die Regierung an: die Gesellschaftsgründung oder den Beibehalt des Vereinsstatuts unter Zulassung von Werbung. Radio FMR ging den zweiten Weg. Yves: „Wir wollten weitermachen, wie auch immer, aber ohne Profit.“ Etwa 50 freie, „gemeinnützige“ Stationen waren im Departement von Saint–Dizier zwischen 1981 und 1984 aufgetaucht. Radio FMR überlebte allein. Nur in Chaumont, 70km weiter südlich, gibt es noch einen Privatsender der Lokalzeitung. Der Großteil der Hörerschaft wird längst durch die kommerziellen nationalen Radionetze wie RTL, Europe 1 oder NRJ gebunden, die im Zuge der sozialistischen Reformen schließlich zu ihren Senderechten kamen. Vor Mitterrand gab es in Frankreich, man erinnere sich, nur Staatsradio. Yves und Bertrand gestehen Kompromisse ein. Über FMR läuft heute ein Mischmasch aus Kommerzmusik, Lokalnachrichten und anspruchsvollen Musiksendungen am Abend. Fünf Angestellte auf Mindestlohn hat FMR. Yves arbeitet weiter als Postbote und schuftet fürs Radio unbezahlt. Bertrand ist der einzige Profijournalist. „Wir mußten den professionellen Weg gehen“, erklärt Yves. „Ohne Werbung hätten wir die Kosten für ein 24–Stunden–Programm nicht mehr tragen können. Ich leite den Laden, obwohl wir nach wie vor versuchen, Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Meine Ansichten haben sich gemäßigt. Ich glaube nicht mehr an Selbstverwaltung. Die jungen Angestellten identifizieren sich nicht mit dem Radio. Sie sind nicht in der Lage, selbständig eine Urlaubsregelung zu treffen.“ In Saint–Dizier hat Yves gelernt, ein Unternehmen zu leiten, während die Sozialisten in Paris lernten, den Staat zu verwalten. Doch Bertrand will von solchen Parallelen nichts wissen. „Wir stehen über der Politik. Die Sozialisten sind so dumm wie alle anderen. Sie sind alle gleich. In Saint–Dizier gibt es sie auch, die Mini–Mitterrands, Mini–Chiracs und Mini–Marchais. Sie klopfen die gleichen Sprüche. Wir sind ihnen scheißegal und umgekehrt. Deshalb machen wir kein Polit–Radio. Das erwartet auch keiner von uns. Das ist die Stimmung hier. Der Wahlkampf nervt.“ Radio FMR gibt jeder Partei vor Ort zwanzig Minuten Sendezeit. Damit ist für Bertrand die Wahlberichterstattung erledigt. Freilich war das nicht immer so. 1986, vor den Parlamentswahlen, versuchte man noch mitzumischen, lud Politiker zu live–Diskussionen und stellte kecke Fragen. Doch Yves resümiert heute: „Die Politiker kommen bei solchen Veranstaltungen immer besser weg, als man denkt. Le Pen im Fernsehen ist das beste Beispiel. Wir lassen uns nicht mehr mißbrauchen.“ Fazit: Radio FMR ist cool geworden. Die Ambitionen hat man - wie bei den Sozialisten in Paris - zurückgesteckt. Doch anders als in Paris ist der Geist noch wach: „Manchmal kommt es uns sehr hart, es allen und jedem recht machen zu müssen“, sagen Yves und Bertrand nach dem dritten Bier. Inzwischen ist es Abend geworden, und über FMR läuft Spezialistenrock.

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