Ökologisches „Aus“ für Seevogelschutzgebiet

■ Umweltkatastrophe an der Ostemündung / Schlickwattkante auf einer Länge von vier Kilometern verölt / Ölpest im größten Seevogelschutzgebiet an der Unterelbe / 40 Vogelarten durch Verschmutzung und vergiftete Nahrung bedroht

Aus Stade Jürgen Detting

Ostermontag im Seevogelschutzgebiet Hullen zwischen Cuxhaven und Stade, dort wo das Flüßchen Oste in die Unterelbe mündet: Zwischen dem alten und dem neuen Deich nur menschenleere Wiesen, nichts Besonderes. Nach dem Aufstieg auf den Hauptdeich ist der Blick über Elbe und Ostemündung frei. Auch hier nichts Auffälliges, nur drei Bagger, die am Elbufer emsig schaufeln und Wagen um Wagen beladen, die dann von Traktoren weggeschleppt werden. Auf dem mühsamen Weg durch sumpfige Weiden zu einem der Bagger steigt penetranter Ölgeruch in die Nasen. Es stimmt also doch: Ölpest im Vogelschutzgebiet. Am Samstag waren bei schlechter Sicht zwei Frachtschiffe auf der Unterelbe zwischen Brunsbüttel (Schleswig–Holstein) und der Ostemündung (Niedersachsen) kollidiert. Aus den beschädigten Treibstofftanks des Havaristen „Heinrich Heine“ (DDR) waren mindestens 60 Tonnen Schweröl in die Elbe geflossen. Auf dem Strom bildete sich ein bis zu drei Kilometer langer Ölteppich. Mit dem aufgelaufenen Hochwasser wurde die sogenannte Schlickwattkante um die Ostemündung herum verölt - auf einer Länge von vier Kilometern. Genau vor dem größten Seevogelschutzgebiet an der Unterelbe. Ein relativ kleines Schiffsunglück bewirkt eine ökologische Katastrophe. Der Ufersaum ist ölschwarz, die schmierige Verschmutzung reicht weit in die Entwässerungsgräben der Vordeichwiesen. Mit jeder Flut wird die Ölpest weiter in das Land gedrückt. Die Männer auf den Baggern und Traktoren arbeiten seit sechs Uhr morgens gegen die Zeit. „Glücklicherweise haben wir Ostwind“, sagt einer der Baggerfahrer, „würde die nächste Flut mit Westwind kommen, hätten wir hier keine Chance. Dann wären die Wiesen vor und hinter dem Deich kaputt.“ Mit den Baggern werden im Watt - vor den Entwässerungsgräben - Ölsperren angelegt. Das ölverschmutzte Erdreich am Ufer wird zusammengeschoben. Dadurch soll die Gefahr für neu ankommende Vögel gemindert werden. Bis zur nächsten Flut, denn mit ihr kommt auch der nächste Ölfilm. Bisher war noch kein toter Vogel zu sehen, nur quicklebendige Möwen. Die Traktoren bringen das verschmutzte Erdreich zu einer Not– Deponie, gleich hinter dem Deich auf einer Wiese. Dort wird Wagenladung für Wagenladung auf riesige Plastikplanen gekippt. Wenn jetzt noch Regen kommt, wird das Öl auf die umliegenden Wiesen gespült. Vor der Deponie haben sich an einem Pumpenhäuschen auf der Deichkuppe einige Schaulustige versammelt. Sie warten auf den Vogelwart Helmut Krethe. Der kommt fluchend durch die Wiesen gestapft. Auf die Frage, wo denn hier die toten Vögel seien, antwortet er mürrisch: „Ja, ja, das seht ihr nicht. Ich sehe hier überall sterbende Tiere.“ Er weist auf die Ostemündung. Auf die ungläubigen Blicke der Umstehenden reagiert er damit, daß er aus seinem Auto eine tote Brandmöwe und ein Stativ–Fernrohr holt. Das Fernrohr baut er auf und richtet es auf das gegenüberliegende Ufer der Ostemündung aus. Durch das Teleskop sind schwarze Vögel zu sehen, die im Flachwasser stehen und sich mit ihren Schnäbeln put zen. „Das sind Löffelenten und Säbelschnäbler“, meint Krethe, „die sind eigentlich weiß. Sie putzen sich jetzt, fressen das Zeug und saufen dann ab.“ Auch die Vögel, die von der direkten Verschmutzung verschont blieben, entkommen dem Öltod nicht. Die Wattwürmer des gesamten Areals sind vergiftet. Zweimal täglich kommen sie bei Ebbe an die Oberfläche und werden dann von allen Vögeln, die auf dem Watt rasten, gierig gefressen. Mit der natürlichen Nahrungskette wird das Öl auch andere Tiere erreichen (Füchse, Hasen, Rehe), die dann einen qualvollen Tod erleiden müssen. Vogelwart Krethe ist verzweifelt. Er hat für das Naturschutzgebiet, das er seit 15 Jahren behütet, keine Hoffnung mehr. Zigtausend Vögel, die auf dem Nullen rasten und brüten, sind in Gefahr. Krethe sieht keine Chance mehr für etwa 14.000 Nonnengänse, die sich an der Unterelbe auf ihrem Flug nach Norden ausruhen. Sie werden Schweden wohl nie erreichen. An der Ostemündung leben (noch) 40 Vogelarten. Die meisten von ihnen müssen sterben. Krethe meint, 99 Prozent der anwesenden Tiere seien todgeweiht. Der Vogelwart bemerkt bitter: „Hier ist Feierabend, aus und vorbei, endgültig.“