: Keine Amnestie für Raketen–Blockierer
■ Koalition lehnt Straffreiheits–Gesetz der Grünen ab / Tausende Betroffene, aber kein öffentlicher Druck für Entkriminalisierung / SPD drückt sich um klare Position
Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Eine Amnestie für Raketen–BlockiererInnen wird es nicht geben. Die Regierungsparteien lehnten am Donnerstag abend im Bundestag einen Gesetzentwurf der Grünen ab, der auf Straffreiheit für gewaltfreie Aktionen gegen die Nachrüstung zielt. Ebenfalls keinen Anklang fand die Absicht der Grünen, den Nötigungsparagraphen 240 des Strafgesetzbuchs so zu ändern, daß er auf gewaltfreie Protestformen nicht mehr angewandt werden kann. Beide Anträge werden zwar noch im Rechtsausschuß des Bundestags beraten, haben aber in dieser Form keine Chance, durchgesetzt zu werden. Die politische Frage, wie sich der Staat gegenüber den GegnerInnen der mittlerweile wegverhandelten Raketen verhält, spielte in der Debatte kaum eine Rolle. Dies liegt nicht nur daran, daß es aus der Friedensbewegung heraus keinen öffentlichen Druck für die Amnestie–Forderung gibt, sondern auch am Vorgehen der Grünen: In der juristischen Ausführung verkoppelten sie das Amnestie–Anliegen mit einer Novellierung des Nötigungsparagraphen, in der nun Gewalt als Einsatz „erheblicher Körperkräfte, technischer Einrichtungen oder chemischer Mittel“ definiert werden soll. Für die Regierungsparteien und auch die SPD bot dies Anlaß, auf juristische Spitzfindigkeiten auszuweichen: Da würden doch Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung künftig keine Nötigung mehr sein, wandte für die SPD Dieter Wiefelspütz ein, und Justizminister Engelhardt (FDP) empörte sich über den „primitiven Gewaltbegriff“, der „ein Tritt in die Magengrube unserer Rechtskultur“ sei. Unumstritten ist bei den Regierungsparteien, daß der Nötigungsparagraph novelliert werden muß - allerdings nicht in der Richtung, die die Grünen einschlagen wollen. Ihr Abgeordneter Gerald Häfner argumentierte mit der „Rechtsunsicherheit“, die auch nach dem Nötigungs–Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 1986 geblieben ist. Ob der Protest gegen Atomraketen einem - wie es im bestehenden Gesetz heißt - „verwerflichen Zweck“ dient, wird von den Richtern nach Gutdünken ausgelegt; welche Rolle die politisch– moralischen Fernziele der Angeklagten bei der Verurteilung spielen, darüber waren sich auch die obersten Verfassungshüter uneins und forderten den Gesetzgeber zur Klarstellung auf. Klarstellung heißt nun, so führten der Justizminister und sein FDP–Parteikollege Kleinert aus: Die Fernziele könnten zwar beim Strafmaß berücksichtigt werden, dürften aber für die Strafbarkeit der Tat an sich nicht entscheidend sein. Da käme es nur darauf an, ob der konkret Betroffene genötigt werde. Dahinter stehe die Absicht, so kritisierte die SPD, automatisch jede Sitzdemonstration zur Straftat zu machen und damit das Demonstrationsrecht weiter einzuschränken. Die Sozialdemokraten ihrerseits drückten sich im Bundestag um eine klare Position zur Amnestie–Forderung, von der immerhin auch zahlreiche eigene Parteimitglieder betroffen wären: Der Gedanke verdiene „ernsthafte Prüfung“; aber gegen die von den Grünen vorgelegte juristische Form habe man Bedenken. Daß ihr Parteikollege Lafontaine über seine Landesregierung einen Amnestie–Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen will, erwähnten die Bonner Sozis dagegen nicht einmal. Währenddessen sind allein an den Amtsgerichten Bonn und Bad Kreuznach noch über 100 Verfahren anhängig gegen Friedensfreunde, die nur einen Aufruf zur Raketen–Blockade im Hunsrück unterschrieben haben. In Bonn gab es im März einen ersten Freispruch, weil die Staatsanwälte trotz zweier Bürodurchsuchungen keine Originalunterschriften unter dem Aufruf aufgetrieben hatten. Allerdings muß die Staatsanwaltschaft nun 585 neue Verfahren einleiten, denn diese Zahl von Original–Unterschriften unter einem neuen Blockade–Aufruf wurde ihr im Gerichtssaal übergeben. Nach Angaben des Koordinierungsauschusses wurden aus den Reihen der Friedensbewegung bisher 1,5 Millionen Mark für Geldstrafen und Prozeßkosten ausgegeben. Allein 2.500 Mutlangen–Blockierer standen vor dem Kadi.
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