: Des Aufstands im Warschauer Ghetto gedacht
■ Vor 45 Jahren erhoben sich die letzten Bewohner des jüdischen Ghettos von Warschau zm Aufstand gegen ihre deutschen Henker / Tausende von Juden in Auschwitz und Warschau / Israels Regierung sieht im Ghetto–Aufstand die Wiege des Staates Israel
Berlin (taz) - Seit letzten Donnerstag wird in Polen des Beginns des Aufstands im Warschauer Ghetto gedacht. Die polnische Regierung hatte sich im Vorfeld dieser Gedenkwoche alle Mühe gegeben, den Feierlichkeiten einen würdigen Rahmen zu geben. Tausende von Juden sind in das Land angereist, um in Auschwitz und Warschau der über vier Millionen von den Deutschen ermordeten Juden zu gedenken. Um so unverständlicher ist der Druck, den die staatliche Seite am Wochenende auf die für Sonntag geplanten unabhängigen Feierlichkeiten ausübte. Der Gründer des „Komitees zur Verteidigung der Arbeiter“ (KOR) und Berater von Solidarnosc, Jacek Kuron, wurde ebenso wie einer der letzten Überlebenden des Aufstands, Marek Edelmann, vor Abhaltung dieser Feierlichkeiten gewarnt. Am Sonntag mittag wurde trotzdem vor 3.000 Menschen auf dem jüdischen Friedhof ein Denkmal für die beiden Führer des sozialistischen jüdischen Bundes, Wiktor Alter und Henryk Ehrlich, eingeweiht, die 1941 in der Sowjetunion hingerichtet worden waren. In einem Gedenkgottesdienst vor etwa 1.000 Teilnehmern am Samstag erinnerte der stellvertretende israelische Ministerpäsident Jizchak Navon an die grund sätzliche Bedeutung des Aufstands für die Geschichte der Juden in aller Welt: „Es gibt keine Überreste des Ghettos und des Aufstandes“, sagte Navon, „für alle Überlebenden gab es nur einen Weg - zurück nach Zion.“ Am 19. April 1943 hatten sich die letzten 70.000 Ghettobewohner verzweifelt gegen die Deutschen erhoben, nachdem seit Juli 1942 über 300.000 Menschen in die Vernichtungslager der Nazis abtransportiert worden waren. Der Aufstand im Ghetto ist nicht nur die Erinnerung an verzweifelten Heldenmut, sondern auch ein Symbol dafür, daß sich die Juden zu wehren begannen. Durch Unterstützung des polnischen Untergrunds war es gelungen, Waffen in das Ghetto zu schmuggeln und damit den Kampf aufzunehmen. In einem unerbittlichen Kampf von Haus zu Haus, der über Wochen dauerte, schlugen die deutschen Truppen mit großer Brutalität den Aufstand nieder. Doch für die Juden, das war allen Aufständischen bewußt, ging es nur noch um einen „würdigen“ Tod. Die Juden wollten sich nicht mehr wie Vieh abschlachten lassen. „Der Traum meines Lebens ist in Erfüllung gegangen. Ich erlebte die jüdische Selbstverteidigung im Warschauer Ghetto in ihrer Pracht und Größe“, schrieb der Anführer des Aufstands, Morchedaj Anielewicz, in einem nach außen geschmuggelten Kassiber. Mit anderen Kämpfern wurde er am 8.Mai getötet, nachdem SS–Truppen seinen Bunker umstellt hatten. Am Donnerstag hatten sich über 2.000 Juden aus aller Welt in Auschwitz versammelt und die Gedenkfeiern eröffnet. In einem „Marsch der Lebenden“ zogen die meist jugendlichen Teilnehmer vom Eingang des Vernichtungslagers Auschwitz zum KZ Birkenau. Die meisten trugen blaue Hemden mit gelbem Davidstern auf der Brust. „Ich will hier versuchen, das Unbegreifliche zu verstehen“, erklärte ein 17jähriger Teilnehmer aus Berlin. Für die Vertreter der israelischen Regierung ergibt sich aus dem Holocaust nur eine Konsequenz. „Wir versprechen, nie schwach zu sein und nie mutlos. Wir werden jeden Zentimeter unseres Landes mit unserem Leben verteidigen, und wir werden nie vergessen, was hier geschehen ist“, erklärte der israelische Politiker Benjamin Netanju. Demgegenüber wiesen polnische Regierungsvertreter darauf hin, daß die Feierlichkeiten nichts an der Haltung gegenüber Israel änderten. Warschau verurteile die Gewaltanwendung und die Verletzung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten. In Polen hat in den letzten Jahren eine umfassende Geschichtsdebatte über den Holocaust und das Verhältnis von Polen und Juden begonnen. Unvergessen sind bei den heute noch lebenden 10.000 polnischen Juden jene Polen, die trotz der Todesdrohung ihre jüdischen Mitbürger vor dem Tod bewahrten. Belastend für das jüdisch–polnische Verhältnis ist neben antisemitischen Äußerungen in der polnischen Öffentlichkeit das Pogrom an Juden in der südpolnischen Stadt Kielce 1946. Einige Dutzend den Holocaust Überlebende wurden damals vom Mob ermordet. Vergessen ist auch nicht, daß die Verfolgung der Studentenbewegung 1968 mit antisemitischen Parolen geführt wurde und danach 13.000 jüdische Polen das Land verlassen mußten. Einer der damals Verfemten aber blieb: Jacek Kuron. Erich Rathfelder
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