: Liegt Athen in Palästina?
■ Griechenland unterhält als einziges Land der EG keine vollen diplomatischen Beziehungen zu Israel / Papandreou spricht von „faschistischer Besatzung“ / Die Rolle der griechisch–orthodoxen Kirche
Aus Athen Georg Schwarz
„Sie werden dein Volk belagern, ihm Schmerzen zufügen und deine Kinder umbringen“, sagte mit bewegter Stimme am Karfreitag der Erzbischof der griechisch–orthodoxen Kirche in Jerusalem Hirinäos. Seine Predigt war für die Abendnachrichten des griechischen Fernsehens bestimmt. Während der Bischof sprach, zeigte die Anstalt Bilder von zerstörten Häusern, weinenden Palästinenserinnen und von israelischen Soldaten, die Jugendliche mißhandeln. Das religiöse Feindbild „Jude“ erstand neu im Bild der Israelis. Eine Ausnahme? Am 28.März gaben die populärsten griechischen Sänger im Stadion der Völkerfreundschaft von Piräus ein Konzert, Gemeinsame Konzerte - hauptsächlich linker Musiker - wurden erstmals nach der Wiederherstellung der Demokratie in den 70er Jahren als Protestmittel der Künstler entdeckt. Diesmal wollten die Organisatoren das Konzert als Akt der „Solidarität zu den kämpfenden Jugendlichen in den besetzten Gebieten“ verstehen, die einkassierten Gelder wurden dem „gerechten Aufstand der Palästinenser“ gewidmet. Seit dem Ausbruch der Auseinandersetzungen im Gaza–Streifen und in der West–Bank pflegt die Athener Regierung in verbalen Höheflügen Verbundenheit mit Palästinensern zu demonstrieren: die griechische Regierung verurteilte scharf die „faschistische Besatzung“ in den besetzen Gebieten, erklärte Mitte Januar Ministerpräsident Andreas Papandreou. Gegen die „faschistischen Methoden der Israelis protestier ten am 1.März auch die Regierungspartei „PASOK“, die Ehefrau des Premiers, Margarita Papandreou, sprach gar von einem neuen „Genozid“. In Griechenland hat es einen breiten Antisemitismus nicht gegeben. Vor dem II.Weltkrieg, das heißt: vor der deutschen Besatzung hatte die jüdische Gemeinde annähernd 70.000 Mitlgieder. Von den Orthodoxen wurden sie nicht recht ernst genommen, galten aber nicht als Bösewichte, zumal sie keinen maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluß ausübten - die meisten waren arm. Das Schicksal der Palästinenser bewegt heute wie kaum ein anderes Ereignis aus dem Ausland die griechische Bevölkerung. In der Besatzung des Gaza–Streifens und der West–Bank sehen die Griechen das Ebenbild der seit 1974 von türkischen Streitkräften besetzten Nordens von Zypern und identifizieren sich mit den Palästinensern. Diverse Interessen Dabei wird die Betroffenheit der Bevölkerung aus Eigeninteressen diverser Machtgruppen verstärkt: Die griechischen Popen unterhalten zu den autonomen griechisch– orthodoxen Kirche Jerusalems enge Beziehungen. Diese ist wiederum am Schicksal ihrer meist arabisch–sprechenden Gläubigen interessiert, die Popen Griechenlands rufen daher auf, mit Taten den Kampf der „Entrechteten“ zu unterstützen. Die Linke benutzt das Drama in den besetzten Gebieten als Beispiel, um den imperialistischen „Machtkampf“ zu erklären. Daß Israel griechischen Reedern mit Gegenmaßnahmen gedroht hatte, falls diese den Palästinensern ein „Rückkehrschiff“ zur Verfügung stellen würden, liefert den Linken zusätzliche, auch für den Bürger einleuchtende Argumente. Seit Beginn des arabisch–israelischen Konflikts versichern Finanzwelt und Regierung den Arabern ihre Unterstützung. Nicht ohne Grund: Bis Anfang der achtziger Jahre entsprach das Geschäft mit den Arabern 25 bis 30 gesamten griechischen Außenhandels. Als Gegenleistung dafür machten sie durch die staatlichen Massenmedien das Schicksal der Palästinenser breit bekannt. „Unter diesen Umständen“ (er meint die Lage in den besetzten Gebieten), sei es der Regierung unmöglich, den israelischen Staat voll anzuerkennen, gab Andreas Papandreou während einer Parlamentsdebatte über die Außenpolitik bekannt - Griechenland ist das einzige Mitglied der Europäischen Gemeinscahft, das mit Tel Aviv keine vollen diplomatischen Beziehungen hat. Dennoch ist die Wende vorgezeichnet: Angesichts des griechischen EG–Vorsitzes ab nächsten Juni untersteht Athen dem Druck Brüssels zur vollen Anerkennung Israels. Noch wichtiger: Griechische Wirtschaftskreise hoffen bei einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel auf bessere Geschäftschancen als bei dem Handel mit den Arabern. Erste Wendezeichen zeigten sich bereits: Während der UNO–Resolution zur Situation der Menschenrechte in den besetzten Gebieten anfang Dezember 1987 enthielt Griechenland sich der Stimme.
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