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Die Europäische Gemeinschaft - ein Rangierbahnhof für Kultur

Vor vier Jahren kam die sozialistische griechische Kulturministerin Melina Mercouri auf die Idee, zur Stärkung des Bewußtseins für eine europäische Kultur ihren Kollegen im EG–Ministerrat zu empfehlen, jedes Jahr eine andere europäische Stadt zur Kulturhauptstadt auszurufen. Die Leitlinien, nach denen die Städte dann zu feiern haben, sind liberal bis zur Beliebigkeit formuliert und lassen so ziemlich jeden Spielraum für individuelle Gestaltung: „Sie sollen die Gemeinsamkeiten und die Vielfalt der Kultur in Europa verdeutlichen, die Völker in Europa einander näher bringen, die kulturelle Eigenart der Kulturhauptstadt hervorheben, und sie zugleich zum Schauplatz für Beiträge anderer Länder machen.“ Die letzte Forderung bringt in diesem Jahr immerhin Edith Clever als Hans–Jürgen Syberbergs monologisierende Gesamtpenthesilea in einer Pariser Produktion heim nach Berlin und trug 1985 die seit 100 Jahren im Britischen Museum lagernden Marmorsteine des Parthenons, und die Berliner Schaubühne inclusive Peter Stein sowie Ingmar Bergmann nach Athen. Letzerer wurde als kulturpolitischer Wanderpokal dann auch in Florenz, der Kulturhauptstadt 1986, vorgezeigt, während das Nederlands Dans Theater schon an den Eröffnungsfeierlichkeiten in Amsterdam (für 1987) beteiligt war und auch heute abend in Berlin zu Gast ist. Und wenn Robert Wilson zusammen mit David Byrne in Berlin in diesem Jahr das gemeinsame Theaterprojekt „The Forest“ erarbeitet, so wird dies nicht nur von Wim Wenders gleich noch als Film produziert, sondern auch im mitfinanzierenden Antwerpen und in New York gezeigt werden, denn längst kann sich keine Stadt mehr so teure Produktionen leisten. So wird die Kultur auf dem gemeinsamen Markt hin und her geschoben. Die Finanzen fließen nicht nur aus der EG–Kasse, sondern auch von Bonn und Berlin nach Athen, von den Nachbarländern nach Amsterdam, von Bonn nach Berlin und von Brüssel nach Florenz, wo die Gelder prompt nach italienischer Tradition erstmal für 22 Monate in den Sümpfen der Verwaltung versickerten. Im sozialistisch regierten Florenz saßen die Festkritiker bei den Christdemokraten, im christlich– liberalen Berlin sitzen sie bei den Linken, immer auf der jeweiligen Oppositionsbank. Deshalb wird die Feier in Paris im nächsten Jahr wohl den Sozialisten mißfallen und wenn der Kapitalen–Kultur–Zirkus übernächstes Jahr nach Glasgow weiterzieht, wird dort wohl die regierende Labour–Party gescholten werden. INTERVIEW

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