: SPD: Atomgesetz ist verfassungswidrig
■ SPD–Fraktion in Bonn reicht Verfassungsklage gegen das Atomgesetz ein / Verwendung von Plutonium verstößt gegen „Schutzpflicht des Staates“ / Verfassungsklage geht auf rot–grüne Koalition in Hessen zurück
Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Rechtzeitig eine Woche vor der Landtagswahl in Schleswig–Holstein hat die SPD–Bundestagsfraktion jetzt ihre seit langem angekündigte Verfassungsklage gegen das Atomgesetz in Karlsruhe eingereicht. Die Sozialdemokraten wollen damit die Plutoniumwirtschaft für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären lassen. Als das Atomgesetz zuletzt 1976 novelliert wurde, hätten auch die SPD die Wiederaufarbeitung noch für einen notwendigen Bestandteil der Entsorgung gehalten, erläuterte gestern die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Däubler–Gmelin. Dies könne heute nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Verwendung von Plutonium als Kernbrennstoff sei wirtschaftlich nicht mehr zu begründen und verstoße gegen die im Grundgesetz verankerte Schutzpflicht des Staates. Als „neue Erkenntnis“ führt die SPD insbesondere ein Gutachten des Marburger Medizin–Professors Kuni ins Feld, demzufolge schon kleinste Schwebeteilchen von Plutonium zu Schäden mit Todesfolge führen. Die SPD versteht ihren jetzigen Normenkontrollantrag als Erweiterung der Klage, die bereits 1987 durch die hessische Börner–Regierung eingereicht, aber von CDU–Minister Weimar später zurückgezogen wurde. Die Klage ging damals auf einen gemeinsamen Beschluß mit dem grünen Koalationspartner zurück. Heute äußern sich die Grünen verhalten zu dem SPD–Verstoß. Ex–Minister Joschka Fischer wollte ohne Kenntnis des Textes der Klage nicht Stellung nehmen. In der Bundestagsfraktion hieß es, man halte das bestehende Atomgesetz aufgrund der Gefährlichkeit der Atomanlagen weiterhin für ausreichend, alle Anlagen dicht zu machen. Im zweiten Teil ihrer Klage bemängelt die SPD die Unvereinbarkeit weiterer Bestimmungen des Atomgesetzes mit der Verfassung: Grenzen und Zweck für die Hinnehmbarkeit des „Restrisikos“ bei Nuklearanlagen würden nicht bestimmt; Genehmigungsverfahren seien nicht angemessen ausgestaltet, und die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente (die die SPD jetzt favorisiert) werde nur nachrangig zugelassen. Vermutlich versprechen sich die Sozialdemokraten als Nebeneffekt, daß die Nordrhein– westfälische Landesregierung mit Verweis auf die Verfassungsklage eine endgültige Entscheidung für oder gegen den Schnellen Brüter in Kalkar hinauszögern kann. INTERVIEW
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