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„Ich schäme mich für meine Regierung“

■ Die Rechtsanwältin Tang Fong Har hält sich derzeit bei ihrem Ehemann in Großbritannien auf und entging dadurch einer erneuten Verhaftung in Singapur

taz: Warum wurden Sie verhaftet? Tang Fong Har: Ich bin aufgrund der „Internal Security Act“ inhaftiert worden, das heißt Verwahrung ohne Anklage oder Untersuchung, weil ich an marxistischen Konspirationen beteiligt gewesen sein soll, um das politische und soziale System Singapurs zu unterwandern. Was stimmt an diesen Vorwürfen? Nichts, genauso wie die anderen, jetzt erneut Inhaftierten habe ich die Anschuldigungen der Regierung dementiert. Vor unserer Verhaftung haben wir uns nicht mal untereinander gekannt. Wie haben Sie auf die Wiederverhaftung ihrer Mitunterzeichner reagiert? Ich war schockiert, ich schäme mich zutiefst für meine Regierung. Keiner von uns hätte die Erklärung unterzeichnet, wären die schrecklichen Folgen absehbar gewesen. Wie wurden sie während des fünfmonatigen Gewahrsams behandelt? Man schlug mir während der brutalen Verhöre so heftig ins Gesicht, daß ich zu Boden fiel. Ich wünschte mir, bewußtlos zu werden, diesen Schmerz würde ich nicht noch einmal ertragen. Manche von uns durften 70 Stunden lang nicht schlafen. Ich wurde 20 Stunden lang dem extrem starken Zug einer Klimaanlage ausgesetzt und dem grellen Licht von zwei Scheinwerfern. Man nahm mir meine Schuhe und meine Unterwäsche ab. Durch diese Behandlung fühlte ich mich sehr erniedrigt. Sie wiederholten immer wieder den Namen von Chia Thye Poh, einem politischen Gefangenen in Singapur - das heißt, doch kein politischer Gefangener - er ist ohne Untersuchung seit 22 Jahren inhaftiert. Man drohte mir, wenn ich nicht kooperieren wolle, werde es mir wie ihm ergehen. Und sie nutzten meine emotionale Verwundbarkeit aus, indem sie betonten, wie sehr mein Mann und meine Familie mich bräuchten. Ich wurde am 27. Juni 1987 verhaftet und hatte kurz zuvor im Januar geheiratet. Sie drohten auch, meinen Rechtsanwalt zu verhaften, wenn ich ihn nicht von meiner Verteidigung entbinden würde. Mir wurde zu verstehen gegeben, daß ich keine Chance hätte freizukommen, wenn ich nicht das Fernsehbekenntnis ablegen würde. Gleichzeitig hieß es, die anderen Angeklagten hätten sich zu dem Bekenntnis bereiterklärt. Welche politischen Aktivitäten veranlaßten die Regierung, sie in Gewahrsam zu nehmen? Ich bin Rechtanwältin und man warf mir vor, eine politische Pressure Group zu formieren, Gewerkschaften und den Anwaltsverein für marxistische Zwecke zu mißbrauchen. Sie waren also politisch engagiert? Ich bin Mitglied des Anwaltvereins in Singapur und ich unterstützte den Oppositionskandidaten bei den Wahlen im Januar 1984. Ansonsten spiele ich Squash und Tennis, gehe gern in Restaurants essen und einkaufen. Ich halte mich für eine durchschnittliche Singapurerin. Was ist Ihnen über den Verbleib der erneut Inhaftierten bekannt? Es gibt keine Informationen, sie befinden sich in Isolationshaft, Gott weiß, was sie in den letzten zehn Tagen auszuhalten hatten. In Malaysia sind derzeit unter demselben Sicherheitsgesetz 49 Gefangene registiert, haben sie Informationen über andere Inhaftierte in Singapur? Niemand weiß das in Singapur genau. Wie Sie wissen, wird auch die ausländische Presse in diesem Punkt zensiert. Als die Hongkonger Wochenzeitschrift Far Eastern Economic Review über die Verhaftung von hauptamtlichen Mitarbeitern der katholischen Kirche berichtete, erhielt sie einen Brief vom Informationsministerium Singapurs, in dem mitgeteilt wurde, daß die Berichterstattung als Einmischung in die Innenpolitik Singapurs betrachtet würde. Seither darf der Far Eastern Economic Review nur 500 Exemplare pro Ausgabe durch einen von der Regierung zugelassenen Händler an vom Minister bestimmte Kreise verkaufen. Interview: Simone Lenz

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