: Chemiewaffen: Kein Vertrag unter Reagan?
■ Die Frühjahrsrunde der UNO–Abrüstungskonferenmz ist ohne wesentliche Fortschritte zu Ende gegangen / Der ursprüngliche Optimismus ist angesichts der US–amerikanischen Verzögerungstaktik verflogen / Für die Zeit nach Reagan ist eher eine Verhärtung zu befürchten
Aus Genf Andreas Zumach
Ohne greifbare Fortschritte bei den Verhandlungen über das weltweite Verbot der Chemiewaffen ist in Genf die Frühjahrsrunde der UNO–Abrüstungskonferenz zu Ende gegangen. Die für ein Verhandlungsergebnis vor allem maßgeblichen Delegationen aus Washington und Moskau konnten sich in den vergangenen zwölf Wochen lediglich auf eine gemeinsame Definition von Anlagen zur Herstellung von Chemiewaffen einigen. Die Verhandlungen gehen im Juni weiter. Der lange zur Schau getragene Optimismus einiger westeuropäischer Diplomaten, die noch zu Verhandlungsbeginn Anfang Februar einen baldigen Vertragsabschluß vorausgesagt hatten, ist angesichts der US–amerikanischen Verzögerungstaktik in Pessimismus und stellenweise Zynismus umgeschlagen. Sie „rechnen auf keinen Fall mehr mit einem Vertrag unter der derzeitigen US–Regierung“. Die - unter anderem von Bundesaußenminister Genscher - geschürte Erwartung, das Moskauer Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und Reagan Ende Mai könne noch einen Durchbruch bringen, sei völlig unbegründet. Reagans möglicher Nachfolger George Bush hat bereits öffentlich das Ziel einer vollständigen Beseitigung chemischer Massenvernichtungsmittel verworfen und sich lediglich für ihre „50prozentige Reduzierung“ ausgesprochen. Derweil läuft die Produktion neuer binärer Waffen in den USA auf Hochtouren. Die Gefahr wächst, daß sich die UdSSR in Reaktion darauf ebenfalls zur „Modernisierung“ ihres Chemiewaffenpotentials entschließt. Dies könnte die Verhandlungen weiter erschweren bzw. zu ihrem Abbruch führen. Frankreich bekräftigte Ende April seine Absicht, selbst im Falle eines Genfer Vertragsabschlusses 2.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe als „Sicherheitsreserve“ vorläufig beizubehalten und die Waffen auch zu „modernisieren“. Dieses Recht solle für alle Vertragsstaaten gelten. „Völlig unakzeptabel“ ist diese Position nicht nur für die UdSSR, sondern auch für westliche und neutrale Staaten. Mit der von US–Botschafter Max Friedersdorf Ende April groß angekündigten Veröffentlichung „bislang geheimer Informationen über unsere Chemiewaffen“ versuchte Washington zum Abschluß der Verhandlungsrunde noch einmal, sein Image aufzupolieren. Tatsächlich enthält das 150–Seiten–Papier eine Reihe Informationen, die die USA in dieser Zusammenstellung offiziell bislang nicht in die Genfer Verhandlungen eingeführt hatten: Konstruktionszeichnungen und Detailangaben über die chemische Zusammensetzung von Kampfstoffen sowie über die Vernichtungsanlagen. „Geheim“ waren diese Informationen jedoch schon lange nicht mehr: Wie das Deckblatt des Papiers verrät, wurde es bereits am 18. November 1987 einer sowjetischen Delegation bei deren Besuch im US–Armee–Depot Tooele überreicht. Bis auf eine Zeichnung der binären 155 mm–Granate enthält das Dokument keinerlei Angaben über die neue Generation chemischer Waffen der USA. Außerdem fehlen Angaben über die Gesamtmenge der Alt–Bestände sowie ihre Stationierungsorte in den USA und der Bundesrepublik Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen