: Die NATO–Aufrüstung in der Ostsee
Wenn die Dänen am kommenden Dienstag wählen, werden sie nicht über Dänemarks uneingeschränkte NATO–Mitgliedschaft entscheiden - auch wenn die Wahlkampfparolen des konservativen Regierungschefs Poul Schlüter dies suggerieren. Entschieden wird allerdings, welche Position Dänemark in Zukunft im Bündnis einnehmen wird. Von der künftigen Regierung Dänemarks hängt ab, ob die neue offensive maritime US–Srategie in den Anrainerstaaten am Nordatlantik durchsetzbar sein wird oder nicht. Dies erklärt die heftigen Reaktionen der „Bündnispartner“ auf die Resolution des Kopenhagener Parlaments vom 14. April. Dabei bekräftigt sie lediglich die seit 31 Jahren geltende nuklearwaffenfreie Haltung Dänemarks.“Dänemark akzeptiert keine nuklearen Waffen in Friedenszeiten“ lautete der einstimmige Folketing– Beschluß im Mai 1957.“ Diese Entscheidung betrifft dänisches Territorium, zu dem dänische Häfen und Hoheits– Gewässer gehören“, präzisierte im Mai 1963 der ebenfalls konservative Regierungschef. Diese Haltung sei „allen NATO–Staaten mitgeteilt worden“. Negative Reaktionen der USA oder der NATO gab es nicht. Eine Landstationierung von Atomwaffen an der Nordflanke des Bündnisses stand niemals ernsthaft zur Debatte. Man beließ es bei symbolischer Politik, begnügte sich damit, den Verbündeten die eigene Position mitgeteilt zu haben und akzeptierte deren Haltung, das Mitführen von Atomwaffen weder zu bestätigen, noch zu dementieren. Ähnlich sieht die Praxis Schwedens und Norwegens aus. Lediglich Finnland, auf dessen früheren Staatspräsidenten Kekkonen ursprünglich die Idee für eine nuklearwaffenfreie Zone Skandinavien zurückgeht, hat dies für das eigene Hoheitsgebiet durchgesetzt. Die dänische Resolution vom 14.April verlangt „eine schriftliche Information der Kapitäne verbündeter Schiffe über die dänische Haltung und keine Auskunft oder gar eine Inspektion“, wie einer ihrer Initiatoren, der sozialdemokratische Parteichef Sven Auken, einräumt. Doch soll dieser quasi diplomatische Akt künftig gegenüber jedem einzelnen Schiff ausgeführt werden und nicht ge genüber den verbündeten Regierungen, wie Schlüter vorgeschlagen hatte. Zwar wird die Resolution, „das Einlaufen atombewaffneter Schiffe in unsere Häfen nicht verhindern“, schränkt Inger Staahl von der dänischen Friedensorganisation „Nej til Atomvapen“ ein. „Aber wir hoffen, daß der Beschluß hilft, eine internationale Debatte über die nukleare Aufrüstung der Meere und die neue „ma ritime Strategie“ der USA auszulösen. Denen ist die dänische Resolution längst ein Ärgernis. Denn nach ihren Vorstellungen soll die Zahl atomar bewaffneter Schiffe und U–Boote im Nordatlantik in den nächsten Jahren um ein Vielfaches steigen. In einer ersten Phase von jetzt 29 Schiffen mit mindestens 75 Cruise Missiles (“Tomahawk“) auf 67 bis 1992 mit 250 Flugkörpern. Sie werden einen Großteil der bislang von den 256 in Westeuropa auf dem Land stationierten Cruise Missiles erfaßten Ziele in Osteuropa abdecken. Im Rahmen der neuen offensiven US–Strategie ist nach Pentagon–Angaben die Stationierung von insgesamt mindestens 4.000 Tomahawk auf über 2oo Schiffen und U–Booten im Atlantik und Pazifik vorgesehen. Die Sowjetunion rüstet ihre U–Boote in der norwegischen See ebenfalls mit Cruise Missiles aus. Innerhalb der NATO gibt es noch Widerstände gegen die neue Strategie. So ist noch offen, inwieweit auch Teile der US–Flotte NATO–Kommando unterstellt werden. In jedem Fall wächst der Bedarf an Landstützpunkten und Versorgungseinrichtungen in den Häfen und Territorialgewässern der Nordatlantik–Anrainerstaa ten. Dänemark hat dabei besondere strategische Bedeutung wegen seiner Kontrolle über den Zugang zur Ostsee. Die neue maritime Strategie läßt sich nur umsetzen, wenn Dänemark seine 30 Jahre tolerierte Politik der Nuklearwaffenfreiheit aufgibt.Die heftige Reaktion vor allem aus Washington und London auf den Folketing–Beschluß dürfte nur der Beginn immer schärferen Drucks auf Kopenhagen sein. Sie war aber auch ein Warnschuß an andere „unsichere Kantonisten“. Denn neben dem (militärisch weniger relevanten Neuseeland) haben inzwischen auch Kanada und Island ihre Häfen und Gewässer als „nuklearwaffenfrei“ erklärt. Die Friedensbewegungen aller Nordatlantischen Anrainerstaaten gründeten vor drei Jahren das „Nordatlantische Friedensnetzwerk“. In enger Kooperation mit ähnlichen Zusammenschlüssen im Pazifik sowie unter aktiver Mitarbeit von „Greenpeace“ wendet es sich gegen die „nukleare Aufrüstung zur See“. Kaum ein US–Flottenbesuch, selbst im Hafen von New York City, verläuft mehr ohne Gegendemonstrationen. Bei einer erst jetzt veröffentlichten Umfrage des Gallup–Instituts vom September 1987, die das US–Außenministerium in Auftrag gegeben hatte, sprachen sich 82 Prozent der Dänen für eine atomwaffenfreie Zone in Skandinavien aus; noch 46 Prozent würden den Ausschluß aus der NATO riskieren. Im März 88 plädierten, ebenfalls gegenüber Gallup, 59 für die NATO–Mitgliedschaft, nach der Parlamentsabstimmung Mitte April 66 Prozent. Das wird auch so bleiben, solange dieses Thema nur von rechts zur Entscheidungsfrage hochstilisiert wird. Sozialdemokraten (Slogan: „Dänemark bestimmt selbst“), Volkssozialisten und Friedensbewegung scheuen bisher ihrerseits vor einer offensiven Thematisierung der NATO–Frage zurück.Das trägt dazu bei, daß sich bei den Wahlen am Dienstag nichts Entscheidendes ändern wird. Doch angesichts der Verschiebungen in der militärischen Strategie werden sich die Themen „Atomwaffenfreiheit“ und „NATO–Mitgliedschaft auf Dauer nicht getrennt behandeln lassen. Sonst bleibt jedenfalls von der Atomwaffenfreiheit gar nichts mehr übrig. Andreas Zumach
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