piwik no script img

„Titanfräse für Rollstuhlbau nicht geeignet“

■ Die Internationale Luft– und Raumfahrtausstellung in Hannover zeigt auch Kriegsgerät, das seiner Bestimmung zugeführt wurde: Ein explodierter und abgestürzter Militärhubschrauber stiehlt dem neuen „Jäger 90“ die Show

Aus Hannover Götz Buchholz

Was ist interessanter als Kriegsgerät? Natürlich Kriegsgerät, das seiner Bestimmung zugeführt wurde. Seit Freitag abend hat die Internationale Luft– und Raumfahrtausstellung (ILA) in Hannover einen neuen Publikumsmagneten: e ischer Militärhubschrauber, von mehreren Explosionen zerfetzt, ausgebrannt, schräg über einem demolierten Flugsteig hängend, stiehlt dem blankpolierten Modell des „Jäger 90“ die Show, der doch eigentlich als Star der ILA ausersehen war. Zwei Tote, ein Dutzend Verletzte und Sachschaden in Millionenhöhe hat das Unglück gefordert, aber die Show geht weiter. Ungerührt verdrehen sich Väter und Söhne, die am Wochenende zu Zehntausenden auf den Flughafen Langenhagen geströmt sind, den Hals nach Spitfires und Hurricanes, nach Alpha–Jets, Tornados und Phantom–Bombern, die im Tiefflug über das Gelände donnern, gehen die Geschäftsbesprechungen in den schallgedämmten Chalets weiter. Zerstörte Kampfflugzeuge schaffen Arbeitsplätze. Und das nicht zu knapp: 60 Prozent der 85.000 Beschäftigten in der Luft– und Raumfahrtindustrie arbeiten im militärischen Bereich; allein der „Jäger 90“, für den der Verteidigungssausschuß des Bundestages pünktlich zur ILA–Eröffnung die Rekordausgabe von vorerst 22,3 Milliarden Mark geneh migte, soll nach Angaben der „Eurofighter GmbH“ in der Bundesrepublik und den Partnerländern Großbritannien, Italien und Spanien bis zu 60.000 Menschen direkt und 50.000 weitere in der Zulieferindustrie beschäftigen - Arbeit genug für eine Stadt von der Größe Karlsruhes. Wer zu einem solchen Projekt nein sagt, riskiert nach Ansicht von Hanns Arnt Vogels, Chef der Messerschmitt–Bölkow–Blohm GmbH (MBB), nicht nur den Verlust der „Lufthoheit über eigenem Territorium“, dessen Folgen „betroffene Zeitgenossen des zweiten Weltkrieges noch in schrecklicher Erinnerung“ haben. Ein Nein zum „Jäger 90“, orakelte er noch eine Woche vor der ILA, bedeute einen Verlust von „Arbeitsplätzen, Lebensqualität, sozialem Frieden und technischer Überlebensfähigkeit, der „nie wieder eingeholt werden kann“. Denn ohne den Jäger 90 würde sich die Bundesrepublik „aus der Spitzengruppe der westlichen Industrienationen verabschieden“. Wer will das verantworten? Zumindest mitverdienen wollen sie alle. Kaum ein Stand auf der ILA, der ohne Modelle und Schaubilder des Jäger 90 oder des Panzerabwehrhubschraubers 2 auskommt, dem zweiten europäischen Rüstungsprojekt in Mammutdimensionen. Kleine Firmen haben sich auf die Zulieferung einzelner Komponenten spezialisiert, Großkonzerne wie AEG, SEL und Siemens bieten Militärelektronik an - im friedlichen Nebeneinander. Konkurrenz ist out, die Konsortien, die sich zum Bau von Airbus, Kampfflugzeugen oder Raumfähren zusammenfinden, setzen sich immer aus denselben nationalen Konzernen zusammen: Aerospatiale in Frankreich, British Aerospace, Aeritalia, Casa in Spanien. Für die Bundesrepublik sind die beiden einzigen verbliebenen Flugzeughersteller, Dornier und MBB, dabei. Vor Jahren noch als Konkurrenten um den Auftrag für den Jäger 90 angetreten, teilen sie sich heute brüderlich diesen Auftragskuchen - im Vorgriff auf die geplante Vereinigung im Daimler–Benz–Konzern, die in jeder anderen Branche als 100–prozentiges Monopol vom Kartellamt verboten würde, in diesem Fall aber selbst von der Bundesregierung ausdrücklich gewünscht wird. Konkurrenz zwischen einzelnen Firmen, verlangt Vogels, „sollte in der Luftfahrtindustrie der Vergangenheit angehören“. Irgendwo muß das Geld schließlich verdient werden: Runde 150 Millionen Mark hat Messerschmitt–Bölkow–Blohm im letzten Jahr im militärischen Bereich verdient - und mit dem Airbus wieder verloren. Knapp 60 Prozent des MBB–Umsatzes, den Vogels für 1988 auf 7,5 Milliarden DM schätzt, kommen aus der Rüstungsproduktion. Die Bemühungen der Waffenproduzenten, ihre Angebotspalette auf zivile Produkte auszudehnen, nehmen sich da erwartungsgemäß halbherzig aus. Zwar gibt MBB an, jährlich 200 Millionen DM in alternative Produktionsideen zu investieren, bestreitet Dornier ein Siebtel seines Umsatzes mit Webmaschinen, aber man kann nun mal „eine Titanfräse nicht im Rollstuhlbau einsetzen“, hört man bei MBB. Diversifizierung, wie sie auf der ILA sichtbar wird, heißt eher: Entwicklung neuer militärischer Produkte. Dornier zeigt Luftabwehr– und Radarsysteme, tragbare Flugabwehrraketen und unbemannte Aufklärungsflugzeuge, sogenannte „Drohnen“; MBB arbeitet bereits an der Entwicklung von „Kampfdrohnen“ und bezeichnet sich stolz als größten europäischen Partner für das US– amerikanische Sternenkriegsprogramm SDI. Die 160.000 Besucher, die bis Donnerstag erwartet werden, wissen das zu schätzen. Mag auch der Airbus A 320 hier seinen Jungfernflug absolvieren, mag Luigi Colani ein eindrucksvolles Solarflugzeug zeigen, mattschwarz natürlich, das sich allein mit Sonnenenergie in der Luft halten soll, wenn es einmal fertig ist - das fast ausschließlich männliche Publikum drängt sich bei der Bundeswehr, die den größten aller Stände belegt und dort das gesamte Arsenal der Luftwaffe zeigt. Vor den Dornier–Alpha–Jets und den MBB–Tornados lichten sich die Trauben nur, wenn draußen der Tornado „live“ vorbeifliegt, und Hanns Arnt Vogels kann sich nur unwidersprochen über den „frommen Glauben“ der Rüstungskritiker wundern, „daß die Welt so gut ist, daß es keine Bedrohung mehr gibt.“ Das Anliegen der wenigen Demonstranten, die draußen vor dem Zaun fastend, schweigend und mahnwachend den Verzicht auf den militärischen Teil der ILA fordern, wäre auch mit gutem Willen nicht zu verwirklichen: Einen militärischen „Teil“ hat die ILA nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen