Der Freistaat kennt kein „Sorry“

■ Freistaat Bayern legt Berufung wegen des Giftgaseinsatzes in Wackersdorf ein / Verwaltungsgericht erklärte den Gaseinsatz für rechtswidrig / Oberlandesanwalt: Gasgranaten waren Zufallstreffer

Aus München Klaus Weise

Ein Toter und 72 Verletzte lautete die Bilanz des CS– und CN–Gaseinsatzes am Ostermontag 1986 in Wackersdorf. Ob dieser erste Einsatz von CN und CS in der Bundesrepublik rechtmäßig war, muß nun das bayerische Verwaltungsgericht in München entscheiden. Karin Waldow und Edmund Haferbeck hatten sich an der mit 100.000 Teilnehmern bislang größten Demonstration gegen die WAA beteiligt. Beide waren durch das Gas verletzt worden. Karin Waldow leidet heute noch an Allergien, die auf das CS und CN zurückzuführen sind. Beide klagten gegen den Freistaat Bayern, und das Regensburger Verwaltungsgericht gab ihnen Recht. Im Juni 1987 verkündeten die Richter: „Der Einsatz von CS– und CN–Kampfstoffen mittels Wasserwerfern und Gasgranaten gegenüber einer überwiegend friedlichen Menschenmenge am Ostermontag 1986 am WAA–Gelände war rechtswidrig“. Der Freistaat Bayern legt gegen diese richterlichen „Watschn“ Berufung ein. „Die Klage von Karin Waldow ist überhaupt nicht zulässig“, argumentierte Oberlandesanwalt Klaus Müllensiefen, der den Freistaat vertrat. Er bestritt nicht, daß Karin Waldow eine friedliche Demonstrantin sei. Daher, so Müllensiefen, sei die Polizei nicht gezielt gegen Frau Waldow vorgegangen. Die Gasgranaten seien Zufallstreffer gewesen. „Einen Verwaltungsakt, gegen den man klagen könne, stellen diese Zufallstreffer aber nicht dar.“ Im Fall Haferbeck vertrat der Oberlandesanwalt die Ansicht, daß der Einsatz „unmittelbaren Zwangs“ berechtigt gewesen sei. Der 33jährige Haferbeck, Mitglied der Umweltschutzorganisation Robin Wood, hatte sich in eine Menschenkette eingereiht, um Ausschreitungen zu verhindern. „Damit hat er sich selbst zum Störer gemacht“, behauptete Müllensiefen. Denn im Schutz der Menschenkette hätten die Militanten ungestört agiert. Daß Edmund Haferbeck auch später noch zweimal von Gasgranaten getroffen wurde, habe er sich selbst zuzuschreiben. „Wer sich in Gefahr begibt, hat die Folgen selbst zu tragen.“ Der Anwalt der Kläger, Franz Schindler, sah dagegen die im Gesetz vorgeschriebene Verhältnismäßigkeit der Mittel verletzt. Er warf der Polizei eine vollkommen falsche Einsatztaktik vor. Schindler deckte zahlreiche Widersprüche in den Aussagen der Polizeibeamten auf, und erinnerte daran, daß der CN– und CS–Gaseinsatz völkerrechtlich geächtet ist. Der Vorsitzende Richter, Edgar Noack, strebte zunächst einen Vergleich an. Der Freistaat Bayern solle wenigstens im Fall Waldow sein Bedauern ausdrücken. Nach langem Zögern erklärte der Polizeirechtsreferent im Innenministerium, Heinz Honnacker, der Freistaat bedauere, daß unvermeidlicherweise Unbeteiligte verletzt worden wären. Dies war der Klägerin Karin Waldow dann doch zuwenig. „Das Wort unvermeidlich stelle das Bedauern auf den Kopf, daher lehne sie den Vergleich ab.“ Die Richter wollen nun ihre Entscheidung schriftlich abfassen. GASTKOMMENTAR