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Eine Chronologie der Provokationen

Dublin (taz) - Begonnen hatte die jüngste Verschlechterung der Beziehungen zwischen London und Dublin am 25.Januar, als der britische Kronanwalt bekanntgab, daß keine Anklage gegen die Beamten der nordirischen Polizei (RUC) erhoben werde, die 1982 an der Erschießung von sechs unbewaffneten „mutmaßlichen IRA–Terroristen“ beteiligt waren. Der Kronanwalt räumte zwar ein, daß durchaus Beweise für die Schuld der schießwütigen Beamten vorlägen, aber „im Interesse der inneren Sicherheit“ müsse von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Darüber hinaus darf der Untersuchungsbericht über die Fälle nicht veröffentlicht werden. Der Autor des Berichtes und Leiter der Untersuchungskommission, John Stalker (Ex–Polizeichef von Manchester), war schon ein Jahr zuvor mit Hilfe konstruierter Anschuldigungen vom Dienst suspendiert worden, weil er auf Beweise für die britische „Shoot to kill“–Politik (Schießen, um zu töten) und die Verwicklung des britischen Geheimdienstes MI–5 in die Morde gestoßen war. Am 21.Februar wurde ein unbewaffneter Katholik an der Grenze zu Südirland von einem britischen Soldaten „irrtümlich“ erschossen, nach dem er bereits mehrmals Morddrohungen von der Armee erhalten hatte. Nur zwei Tage später begnadigte der britische Innenminister einen Soldaten, der für den Mord an einem nordirischen Katholiken zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. Am 6.März erschossen Mitglieder der britischen Sondereinsatztruppe SAS (dem Pendant zur bundesdeutschen GSG 9) auf Gibraltar drei unbewaffnete Mitglieder einer IRA–Komman– doeinheit. Nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Empörung über das rücksichtslose Verhalten des SAS entschied sich die RUC bei der Beerdigung der drei IRA–Mitglieder auf dem Belfaster Milltown–Friedhof, von ihrer bei solchen Anlässen üblichen Präsenz abzusehen. Ein loyalistischer Paramilitär nutzte die Gelegenheit, schleuderte Handgranaten in die Trauergemeinde und tötete drei Trauergäste mit Pistolenschüssen. Bis heute ist der Verdacht nicht ausgeräumt, daß die RUC zumindest auf unterer Ebene ihre Hände im Spiel hatte. Beim Begräbnis eines der drei Opfer dieser Friedhofs–Attacke werden zwei britische Soldaten gelyncht. Zwar wurde dieser Doppelmord sowohl in Großbritannien wie in Irland streng verurteilt, doch auch konservativen irischen Politikern fällt es inzwischen schwer, an britische Gerechtigkeit zu glauben. Am 28.Januar bestätigte ein Londoner Gericht - und später auch das britische Oberhaus - die Urteile gegen sechs Iren, die seit 13 Jahren für die Bombenanschläge auf zwei Kneipen in Birmingham im Gefängnis sitzen. Bei den Anschlägen starben 21 Menschen, aber die Beweisführung gegen die sechs Iren war so widersprüchlich, daß man nicht nur in Irland von der Unschuld der Verurteilten überzeugt ist. Nur wenige Tage später verkündete die Regierung Thatcher die automatische Verlängerung des „Prevention of Terrorism Act“. Bisher hatte die alljährliche Verlängerung des fast ausschließlich gegen Iren angewandten Anti–Terrorismus–Gesetzes wenigstens noch im britischen Unterhaus debattiert werden müssen. Ralf Sotscheck

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