Sittengemälde mit Aids und Hundeschwänzen

■ Die hessischen Grünen begannen ihre Kampagne „Aids und Menschenrechte“

Aus Wiesbaden Heide Platen

Warum er denn, fragte die Kommentatorin der Bild–Zeitung Eva Kohlrusch den Geschäftsführer des Stadtmagazins Pflasterstrand, Daniel Cohn–Bendit, nichts gegen die Leute tue, die „den kleinen Hunden die Schwänzchen abschneiden“? Cohn–Bendit reagierte entnervt. „Die Macht der Schwänze“, tönte es leicht surrealistisch aus dem Publikum, „hat ihre Grenze.“ Von der Decke und den Wänden des Saales im Wiesbadener Landtag blicken gemalte Engel, Putten und Nymphen leichtgeschürzt und milde lächelnd auf eine Podiumsdiskussion herab. Zwischen Stuck und Kristall begannen die hessischen Grünen am Montag abend eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Aids und Menschenrechte“. Geladen hatten sie den Zeitgeist– und Zeit–Redakteur Matthias Horx, den Aids–Apokalyptiker Dr. Michael Koch aus dem bayerischen Innenministerium, den Sexualwissenschaftler Martin Dannecker, die Journalisten Justin Westhoff und Martin Winter (Frankfurter Rundschau). Eva Kohlrusch von Bild saß neben Melitta Walter von „Pro Familia“ und diese neben Daniel Cohn–Bendit. Moderatorin Birgit Kolkmann verlangte den Versammelten zu Beginn die Titel der Ver anstaltung, ein „Sittengemälde der neunziger Jahre“, in Kurzfassung ab. Horx, publizistischer Spezialist für Generationskonflikte, sah diesen in Sachen Aids diesmal ausnahmsweise nicht zwischen seiner und der 68er Generation, sondern zwischen dieser und der der Wirtschaftswunderkinder–Eltern der fünfziger Jahre. Der innenministerielle Koch blickte kampferprobt „ins kommende Dezennium“ und dem Virus als einem „neuen Tier“ ins Auge. Der Rest des Podiums war sich einig, daß mit der Angst vor Aids konservative Politik gemacht wird. Wer über Aids reden wolle, müsse auch über Sexualität reden, befand die Moderatorin. Das fanden alle anderen auch. Nur Dr. Michael Koch nicht. Der wollte lieber über Zahlen reden und rechnete afrikanische Lastwagenfahrer und deutsche Homosexuelle hoch. Außerdem empfahl er - wegen der dort frühzeitig infizierten Drogensüchtigen - immer ein statistisches Auge fest „auf Manhattan“ zu halten. Das linke Spektrum auf dem Podium erging sich mehr oder minder selbstzerstörerisch in „neuer Nachdenklichkeit“. Nur Daniel Cohn–Bendit war das nicht radikal genug. Er plädierte heftig für Liebe und Lust und Lebensfreude im Umgang mit der Aufklärung über Aids und bewegte seine Hände, als werfe er sie schon durch die Luft, die von ihm vorgeschlagenen „blauen und roten und gelben und grünen Kondome“. Journalist Winter zitierte dann noch Herrn Koch, der privat Heim und Wein mehr schätzt als - beispielsweise - einen Aufenthalt in Manhattan: „Sexualität ist unverzichtbar für die Fortpflanzung des menschlichen Lebens.“ Koch sagte wiederum ganz moderat, er wolle niemandem seine Lebensvorstellungen aufzwingen, aber wenn in Schweden eine Aids– Kranke ihre Wärterin absichtlich beiße, dann gehe das entschieden zu weit. Dannecker analysierte den zitierten Koch. Der zeige seine Affekte zwar nicht, habe aber starke. Seine Phantasien von „Angst und Dekadenz“ seien auf „Pragmatik“ ausgerichtet. Ob er denn zur Zurücknahme des bayerischen Zwangsmaßnahmenkatalogs bereit sei, wenn die Bevölkerung von sich aus Vorsichtsmaßnahmen ergreife, fragte Moderatorin Kolkmann schüchtern bei Koch an. Der brachte es auf den Punkt: „Wir werden alles durchsetzen, was politisch akzeptabel ist!“ Und darum ging es seinen KritikerInnen: um den Verlust der erkämpften sexuellen Befreiung und Individualisierung und den von Demokratie durch Angstmacherei. Westhoff sah faschistische Tendenzen „nie so nahe“. Politi ker gebärdeten sich derzeit „wie am Stammtisch“, während zum Glück in bezug auf Aids „an vielen Stammtischen die Vernunft eingezogen“ sei. Dann beklagte noch Eva Kohlrusch, daß sie nie in den Genuß der sexuellen Revolution gekommen sei. Wenn es denn so viele so oft trieben, mit wem denn, bitteschön? Mit ihr jedenfalls nicht! Sie sei eine „zu kurz Gekommene“. Und Martin Dannecker sagte zur Diskussion um die Promiskuität und die Treue in der Linken so schöne Sätze wie diesen: „Wir sind beim Vollzug des Sexes in die Fallen der Liebe geraten, und das ist schmerzlich.“ Die Kampagne wird am 26. Mai von 10 bis 19 Uhr im Frankfurter Volksbildungsheim fortgesetzt.