: No time for loosers Oder: Wie sich der VfL Bochum einmal irrte
„No time for loosers“
Oder: Wie sich der VfL Bochum einmal irrte
Als nach exakt neunzig Minuten und acht Sekunden das Pokalfinale abgepfiffen wurde, war auf den Gesichtern der Bochumer Fans eine Enttäuschung abzulesen, die bodenlos war. Das Freudenfest in der Kurve am Marathontor war unwiderruflich vorbei. Manch einer rang mit den Tränen und unterlag. Keiner hatte mehr etwas zu sagen, Tausende verharrten in Agonie. Ein Aufbegehren, eine letzte, fast verzweifelte Anfeuerung sollte den Spielern, die weinend auf dem Platz saßen, zeigen, daß man mit ihrer Leistung einverstanden war.
Es war auch nicht die Zerknirschung über eine schlechte Leistung, die die Gesichter gefrieren ließ. Es war die nicht Wirklichkeit gewordene Verheißung, die sich an dieses Pokalfinale geknüpft hatte. An diesem Samstag sollte der VfL doch endlich in die Zeit eintreten. Bislang ein Verein ohne erwähnenswerte Vergangenheit, bemerkenswerte Gegenwart und verheißungsvolle Zukunft, waren die Fans bislang zu einer fast kafkaesken Existenz in einer Endlosschleife zwischen Abstiegskampf, Finanznot, Verkauf der besten Spieler und wieder Abstiegskampf verdonnert. Die ewig-graue Maus, deren erstaunlichste Leistung in 17 Jahren Bundesligazugehörigkeit die Verhinderung des Abstiegs gewesen war. Oder wie hatte Trainer und Ex-Profi Hermannn Gerland die Frage nach seinem größten sportlichen Erfolg beim VfL Bochum beantwortet? „Ich hatte keinen.“
Und dann war am Horizont die Vision einer ganz anderen Zeit aufgetaucht. Das Pokalfinale in Berlin, der erste Titel, ein Supercup-Endspiel vor Saisonbeginn, eine oder gar mehrere Runden im Europapokal, neue, bessere Spieler, besserer Fußball. Kurz: Geld, Gold, ein sorgenfreies Leben. So ertönte bei den Bundesligaspielen der letzten Wochen immer wieder, fast wie eine religiöse Formel intoniert, dieses Bekenntnis: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“
Die Reise zum Ort der Erlösung stand bevor. Busse, Flugzeuge, Züge sollten sich in Bewegung setzen. Gen Berlin exilierte Kinder wurden nach Jahren von ihren Vätern wiederentdeckt. Die Gespräche auf den Tribünen kreisten endlos um die Fragen wann, wie und mit wem man denn nun zum Finale zu fahren geplant hatte. Dabei sollte dieses Gerede doch nur bestätigen, daß es wirklich stimmte, daß die Verdammnis der ewigen Mittelmäßigkeit gesprengt werden sollte.
So waren auch die euphorischen und zugleich sentimentalen Wiedersehensszenen auf Autobahnraststätten, am Bahnhof Zoo oder im Olympiastadion zu verstehen. „Fall mir um den Hals, dann weiß ich, daß ich mir das nicht nur einbilde!“
Schon zwei Stunden vor dem Anpfiff war im Olympiastadion die große Party der VfL-Fans. Die Ränge waren fest in blau -weißer Hand, und einer mutmaßte, daß Bochum an diesem Tag wohl eine Geisterstadt sei.
Alles war ganz wunderbar, bis zu dieser 81. Minute, als Lajos Detari den Freistoß verwandelte. Aus! Gehen sie nicht über Los, ziehen sie nicht Millionen Mark ein! Kein Pokal, kein Gold. Weiter sorgenvoll Leben!
Kurz nach Spielende wurde den Anhängern des VfL ihr Platz zugewiesen. Über den Stadionlautsprecher kam Herrenmenschen -Pop. „We are the champions“ von Queen war dem Sieger Eintracht Frankfurt zugedacht, aber eine Zeile, die traf den VfL und seine Anhänger. „No time for loosers!“
Natürlich nicht. Wie hatten sie auch gegen ihr Schicksal aufbegehren wollen. Jetzt waren sie wieder an ihrem Platz. Die Verlierer. Und daß gerade Detari, der 3,4 Millionen -Einkauf der Eintracht, das Tor geschossen hatte, zog die Trennungslinie noch deutlicher.
Kleine Leute sollen da bleiben, wo sie hingehören und sich nicht in die Angelegenheiten der Großen, Reichen und Schönen einmischen. Eine Lektion, die gerade im Ruhrgebiet eifrig gelehrt wird, die im Moment Strukturkrise heißt und wie immer von der SPD transportiert wird. Ein wenig mitspielen darf man schon. Etwa 17 Jahre in der Bundesliga, mit der besten Plazierung als Tabellen-Achter.
Nächstes Jahr werden wir Zehnter und scheiden im Viertelfinale des Pokals aus. Unser Auftauchen in Berlin war ein Irrtum. Entschuldigung! Christoph Biermann
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