: Verschärfte Haft für politische Gefangene Erneute Protestaktion von Angehörigen der politischen Gefangenen der RAF und des Widerstands gegen Isolationshaft, Zensurmaßnahmen, reduzierte Besuchszeiten oder Besuchsverbote und Schikanen / Jede
Verschärfte Haft für politische Gefangene
Erneute Protestaktion von Angehörigen der politischen
Gefangenen der RAF und des Widerstands gegen Isolationshaft, Zensurmaßnahmen, reduzierte Besuchszeiten oder
Besuchsverbote und Schikanen / „Jeder Knast hat seine
speziellen Perversitäten“
Aus Hamburg Peter Müller
Nur zwei Monate nach ihrer Aktion anläßlich des Hamburger San-Jose-EG-Gipfels meldeten sich am Pfingsfreitag in der Hansestadt abermals die Angehörigen der politischen Gefangenen der Roten Armee Fraktion (RAF) und des Widerstandes zu Wort.
Mit Transparenten und Sprechchören forderten sie vor der Petri-Kirche - mitten auf der Einkaufsmeile Mönckebergstraße - die Zusammenlegung ihrer Kinder und Geschwister in große Gruppen: „24 Stunden auf der Zelle allein, das ist kein Leben, Zusammenlegung muß sein.“ - „Isolation ist Mord, Zusammenlegung sofort.“
Für die Mütter und Schwestern der in den BRD-Knästen inhaftierten politischen Gefangenen gibt es viele Gründe, erneut auf die Straße zu gehen und Alarm zu schlagen. „Seit unserer letzten Aktion hat sich nichts verändert. Im Gegenteil: Die Schikanen nehmen weiter zu“, berichtet eine Mutter. Die Verschärfungen dienen ihrer Meinung nach dazu, „die Trennung der politischen Gefangenen untereinander noch massiver zu betreiben und sie von politischen Diskussionen mit Angehörigen, Freunden, Leuten aus dem Widerstand noch mehr abzuschneiden. Sie wollen das Selbstbewußtsein unserer Kinder zerstören und sie zermürben.“
Und an Beispielen mangelt es den Angehörigen nicht. Nur einen Kilometer von der Petri-Kirche entfernt sitzt derzeit Barbara Ernst im Untersuchungsknast wegen Mitgliedschaft in der RAF. Der Vorwurf: „Sobald eine andere politische Gefangene in demselben Gefängnis ist, wie vor einiger Zeit Elisabeth Meermann und jetzt Ulla Penselin, wird jede Möglichkeit, nur ein Wort miteinander zu reden, verhindert.“
Selbiges erfuhren in äußerster Brutalität auch Heidi Schulz und Ingrid Jacobsmeier, als sie zur Zeugenvernehmung im Prozeß gegen Eva Haule, Luitgard Hornstein und Christian Kluth mit dem Hubschrauber von Bielefeld nach Stammheim gebracht wurden. Eine Mutter: „Ihnen wurden die Augen verbunden und ein Kopfhörer aufgesetzt, damit sie nicht miteinander reden konnten. Und als Heidi dennoch einmal eine falsche Bewegung machte, wurde ihr schmerzlich der Arm umgedreht.“
Heidi Schulz war vor ihrem Stammheimflug über ein Jahr lang in Köln-Ossendorf nicht mehr an der frischen Luft gewesen, weil sie sich weigerte, allein einen Hofgang durchzuführen. „Jetzt hat man ihr lediglich gestattet, zusammen mit einer Frau, die zweimal in der Psychiatrie saß, den Hofgang zu machen. Dabei könnte sie durchaus mit Christa Eckes Hofgang machen. Aber, man kann sich draußen gar nicht vorstellen, welchen Aufwand die machen, um zu verhindern, daß sich die beiden sehen.“
Viel Aufwand wird auch getrieben, um jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu verhindern, beklagen sich die Angehörigen: „Barbara Ernst hat zum Beispiel nur eine Stunde Besuchszeit im Monat. Für jeden Brief, den sie bekommt, muß sie einen anderen Brief aus der Zelle herausgeben, so daß jeder Diskussionsprozeß von ihr mit anderen draußen zerstört wird, weil sie sich nicht mehr auf das vor Wochen Geschriebene beziehen kann.“
Inzwischen wurden ihre meisten Unterlagen - Broschüren, Zeitschriften, Ordner mit Arbeitspapieren und Briefe -, die alle ohnehin schon durch die Zensur gelaufen waren, aus der Zelle geholt. Die Angehörigengruppe: „Das geht soweit, daß sie noch nicht einmal die Presseerklärung ihrer Anwälte zu ihrer Haftsituation erhalten hat.“
Ähnliches widerfährt auch täglich den anderen politischen Gefangenen in den BRD-Knästen. Den taz-bericht (7.3.88) über die März-Aktion der Angehörigen bekamen die wenigsten Inhaftierten aus RAF und Widerstand zu Gesicht. „Aus der Zeitung wurde einfach die Seite mit dem Bericht herausgerissen. Und auch bei unseren Besuchen, die ja mitgehört werden, durften wir darüber nicht sprechen.“ Würden sich die Mütter und Geschwister nicht daran halten, wird der Besuch durch die Staatsschützer abgebrochen und für die nächste Zeit gegen die entsprechende Person unter dem Vorwand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein Besuchsverbot verhängt.
Jeder bundesdeutsche Knast hat mittlerweile seine eigenen Schikanen entwickelt. „Man kann nicht sagen, es gibt gute oder schlechte Gefängnisse. jeder Knast hat seine speziellen Perversitäten entwickelt“, meint eine junge Angehörige der Inhaftierten. „In Stammheim gibt es jetzt eine Verfügung des Knastes, daß die politischen Gefangenen und die, die ihnen schreiben, bei Korrekturen kein Tipp-Ex mehr benutzen oder die Fehler auch nicht mehr durchstreichen dürfen. Wenn sich die Inhaftierten oder die Schreibenden daran nicht halten, wird die Post vom LKA nicht weitergeleitet oder geht zurück.“
Oder die Schikanen gegen Günther Sonnenberg: Als Sonnenberg, der aus medizinischen Gründen wegen der Folgen seiner Kopfschußverletzung ohnehin dringend aus der Haft entlassen werden mußte, kürzlich beim Aufschluß seiner Zelle den Haftrichter sprechen wollte, gaben die „Schließer“ kurzerhand Alarm. „Sie haben sich auf Günther gestürzt, ihn auf den Kopf gestellt und mit den Füßen nach oben in den Bunker gebracht.“ Günther Sonnenberg lebt seit elf Jahren, seit seiner Verhaftung, trotz eines gravierenden Epilepsie -Leidens, in strikter Isolationshaft, darf nicht einmal an den Kirchgängen teilnehmen. In dem Trakt, gut abgeschirmt von Sonnenberg im siebten Stock, befindet sich derzeit nur Christian Kluth. Er trat aufgrund der Ereignisse um Sonnenberg vorübergehend in den Hungerstreik.
Trotz aller deprimierender Nachrichten aus den Knästen hoffen die Angehörigen auf eine Verbesserung der Haftbedingungen für ihre Kinder und Geschwister: „Wir werden nicht aufgeben, für die Zusammenlegung in große Gruppen zu kämpfen.“
Mit ihrer Aktion vor der Hamburger Petri-Kirche wollte die Gruppe konkret auch auf das Mitwirken des Hamburger Justizsenators Wolfgang Curilla (SPD) hinweisen: „Er wirkt mit an der Planung und Durchführung der Haftbedingungen, die auf Regierungsebene in Bonn koordiniert werden und wo die allgemeine Linie gegen die politischen Gefangenen festgelegt wird.“
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