: Genug für ein Wahrscheinlichkeitsurteil Martina Kirfel sprach mit Prof. Messerschmidt, Mitglied der Historikerkommission / Er hält die neu aufgetauchten Dokumente für echt
Genug für ein „Wahrscheinlichkeitsurteil“
Martina Kirfel sprach mit Prof. Messerschmidt, Mitglied der Historikerkommission / Er hält die neu aufgetauchten
Dokumente für echt
taz: Aus dem Belgrader Militärhistorischen Archiv sind neue Dokumente aufgetaucht, die den Verdacht erhärten, der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim sei an kriegsverbrecherischen Erschießungsbefehlen auf dem Balkan beteiligt gewesen.
Messerschmidt: Es handelt sich um Berichte über Erschießungen, die von der Feldgendarmerie durchgeführt worden sind. Die Feldgendarmerie war der Abteilung „Ib“ zugeteilt. Waldheim war einer der beiden Offiziere der Stabsabteilung „Ib“. Zwei Berichten der Feldgendarmerie zufolge wurden am 11. August 1942 sieben Partisanen und am 24. August neun serbische Kollaborateure erschossen.
Wer trug die Verantwortung für diese Erschießungen?
Die Verantwortung trug die Stabsabteilung Ib, der die Feldgendarmerie unterstand. Es ist ein relativ kleiner Stab gewesen und daher nicht vorstellbar, daß Waldheims Abteilung über diese Vorgänge nichts gewußt hat.
Sind die neu aufgetauchten Dokumente echt? Woher stammen sie?
Die Dokumente sind, soweit ich gesehen habe, echt. Die deutschen Unterlagen der Kampfgruppe Westbosnien sind alle nicht mehr vorhanden. Die Akten, die man jetzt findet, stammen aus den kroatischen Beständen.
Sie haben in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bereits über Waldheims Tätigkeit in Griechenland gesagt, er habe dort Sühnemaßnahmen, die die Exekutionen von Passanten und Zivilpersonen einschlossen und über das Ausmaß der von der Wehrmacht angeordneten Sühnemaßnahmen hinausgingen, nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten verhindert. Damals sagten Sie, daß diese Tatsache Anlaß zum Verdacht auf Beteiligung an Mord geben könnte.
Ja, ich habe damals gesagt, Strafrechtler könnten sich hier Gedanken darüber machen, ob das nicht ein Fall der Beihilfe durch Unterlassung sei.
Bringen die neuen Dokumente eine andere Dimension in die Affäre Waldheim?
Ähnliche Dokumente hatten wir bereits in einem Anlagenpaket zum Bericht der Historikerkommission eingereicht. Bisher hat die österreichische Regierung diese Anlagen nicht drucken lassen und nicht für ein breitgestreute Verteilung gesorgt, was mit dem Weißbuch allerdings geschehen war. Die neuen Dokumente bringen noch mehr Hinweise zu Waldheims Tätigkeit in Westbosnien, die das erweitern, was in der Anlage zu unserem Bericht schon veröffentlicht wurde. Strafrechtlich relevante Aussagen kann man allerdings nur machen, wenn Waldheims Name auftaucht. Die neuen Dokumente reichen jedoch für ein „Wahrscheinlichkeitsurteil“ aus, daß Waldheim von den Erschießungen gewußt hat. Bisher hat Waldheim immer gesagt: Wir waren für die Verpflegung und Versorgung der deutschen Truppen zuständig. Jetzt ist eindeutig, daß Erschießungen vorgenommen worden sind und das ist mehr als nur die „Versorgung“ der eigenen Truppen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen