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■ Henry Ries gibt Auskunft über die Erfahrungen eines deutsch-amerikanischen Fotografen im Nachkriegseuropa

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Henry Ries gibt Auskunft über die Erfahrungen eines deutsch -amerikanischen Fotografen im Nachkriegseuropa

taz: Wie kamen Sie zur Fotografie?

Ries: Das war fast ein Umweg bei mir, ich ging 1934 von der Schule ab mit dem sogenannten „Einjährigen“, also ein Jahr nach der sogenannten Machtübernahme. Es hatte keinen Sinn, auf der Schule zu bleiben unter den Verhältnissen. Da ich sowieso nicht studieren konnte als Jude, ging ich erstmal in eine Radioreparatur-Werkstatt, um da einen praktischen Beruf zu lernen, wo man auch von der Sprache nicht so abhängig sein würde, denn ich hatte schon damals die Absicht, wegzugehen.

Sie hatten also die Tragweite der Machtübernahme begriffen und es war klar, daß Sie wegehen würden?

Nein, so klar war es eigentlich nicht, und vielen war es leider nicht klar genug. Aber dadurch, daß ich nicht studieren konnte, war mir natürlich schon der Weg abgeschnitten. Ich hatte auch eigentlich gehofft, Musik zu studieren, und da war auch schon eine Atmosphäre, daß Juden nicht dies tun konnten, nicht das tun konnten. Aber man war sich natürlich keineswegs der Ausmaße bewußt, die es eines Tages dann annehmen würde. Aber ich wollte eigentlich doch weg. Dann, ein halbes Jahr vor meiner Auswanderung im Jahr 1938, bin ich dann durch einen Freund an die Fotografie geraten, der war Fotograf hier in einem Mode- und Porträtstudio.

Das interessierte mich, wir waren gut befreundet. Er hat mich eingeführt, und dann habe ich bei einem Zeitungsfotografen gelernt, so auf die Schnelle; kaufte mir zwei Leicas, von denen ich eine in New York verkaufte, um zu leben.

Mit der anderen fing ich an, ein bißchen zu fotografieren, gab mich als ganz toller Fotograf aus, denn in Amerika braucht man nicht solche Beweise, wie man sie hier braucht. Es gelang mir auch, eine Stellung zu bekommen. 1938 war auch in Amerika eine starke Flaute, diese Firma, bei der ich in New York arbeitete, ging pleite. Ich bin irgendwie nach Bridgeport/Connecticut gekommen, und bekam da eine Stellung, aber auch diese Firma ist pleite gegangen. Ich gab fotografischen Unterricht im jüdischen Gemeindezentrum. Das ermöglichte mir dann, eine Dunkelkammer zu haben im Austausch dafür, daß ich Unterricht gab. Das war das erste Mal, daß ich wirklich etwas über Fotografie lernte, dann las ich mal etwas darüber. Ich war auch gar nicht so stark an Fotografie interessiert, es war nur ein Ersatz für die nichtvorhandene musikalische Hoffnung, die ich hatte. Es war ein Ausweg oder vielleicht ein Umweg.

Dann, als ich endlich in die Armee kam - ich konnte nicht früher rein, weil ich ja kein Staatsbürger war - hatte ich das Glück, in die Luftwaffe zu kommen, weil ich mich ja immer als Fotograf ausgab. Da ging ich dann nochmals zu einer Luftwaffenschule, es war hochinteressant, lauter technische Sachen, die ich da lernte über Luftfotografie, von Bodenformaten, wirklich sehr interessant.

Dann wurde ich in Indien eingesetzt, natürlich, weil ich so gut deutsch spreche, da arbeitete ich in einem Labor. Vom Flugzeug aus machte ich Fotografien von China, usw., und dann mußte ich riesengroße Vergrößerungen machen. Ich hätte es nicht besser treffen können, ich habe nicht einen Schuß gehört und nie einen abgegeben. Es gelang mir, zum Ende des europäischen Krieges nach Europa versetzt zu werden. Direkt von Kalkutta nach London, wo ich ganz kurz nach Ende des Krieges ankam. Dann war ich in einer Intelligenz-Division und arbeitete an Himmlers gerade aufgefundener sogenannter „Geheimer Staatsbibliothek“. Das ist ein Kapitel für sich, das war sehr schwierig. Ich kam nach Berlin, nachdem es für die westlichen Alliierten offen war und arbeitete an den Himmler-Dokumenten weiter, bis ich Anfang 1946 aus der Armee entlassen wurde.

Auf Ihr eigenes Betreiben?

Nein, meine Armeezeit war beendet. Ich hatte schon wieder angefangen, fotografisch zu arbeiten und bekam eine Stelle beim 'OMGUS-Observer‘, eine Wochenzeitung für die amerikanische Armee. Da wurde ich auf einmal Chef-Fotograf. Da sie nicht viele oder auch nicht sehr gute Reporter hatten, ließen sie sich von mir überreden, auf die Titelseite immer eine Fotografie zu machen. So machte ich mir einen Namen und wurde bei der amerikanischen Presse bekannt. Verschiedene Magazine offerierten mir einen Job, unter anderem 'LIFE'-Magazin, 'HEUTE‘ aus München und die 'New York Times‘. Ich entschloß mich für die 'New York Times‘, weil ich der einzige für ganz Westeuropa war, wohingegen ich bei 'LIFE‘ einer von ungefähr zwölf gewesen wäre. Die Bezahlung wäre bei 'LIFE‘ etwa zwei-, dreimal so hoch gewesen.

Aber mir lag mehr daran, soviel wie möglich herumzureisen, und Arbeiten und Erlebnisse zu haben. Das tat ich dann und wurde auch recht bekannt durch die Berliner Blockade, weil ich sehr viel an dieser Sache machte.

Ich reiste sehr viel in Westeuropa herum und hatte durch meine Sprachkenntnisse, durch mein politisches Verständnis und durch das Renommee der 'New York Times‘ recht schnell offene Türen, bis ich dann 1959 für die 'New York Times‘ zurückging und dort im Studio Chef-Fotograf wurde.

Wie haben Sie die Konfrontation mit Deutschland erlebt, wo Sie ja 1938 emigiert sind?

Das war natürlich nicht leicht. Denn wenn ich auch in dieser sauberen amerikanischen Uniform ankam, wollte ich zumindest vor mir selbst nicht verbergen, wer ich nun bin. Ich meine, man muß halt versuchen, ein bißchen ehrlich mit sich selbst zu sein. Da kam auch die Frage der Verantwortung gegenüber den Juden, die es nicht geschafft hatten, aber auch eine Verantwortung gegenüber den Deutschen, die nicht mitgemacht hatten, so wie z.B. meine Erzieherin, eine katholische Frau, die mir und meiner jüngeren Schwester das Leben gerettet hat. Als Richter oder als Ankläger hier anzukommen, stand mir nicht zu. Denn ich kann das nicht so alles über einen Kamm scheren, man mußte doch Unterschiede machen, zwischen Menschen und Menschen oder zwischen Menschen und Unmenschen. Die Probleme, die die Deutschen dann hatten, waren ja auch ziemlich überwältigend: die Armut, die hier existierte, das Elend, der Hunger. Es waren eigentlich keine Rachegefühle mehr, es waren natürlich Entfremdungen, wo man sich auch erst am Ende des Krieges des Wahnsinns, der Zahl der Verbrechen bewußt wurde. Ich war mir bewußt, daß ich mir nicht einbilden kann, ein Überzeugungsemigrant zu sein. Das darf ich nicht vergessen, denn wäre ich kein Jude gewesen, dann wäre ich wahrscheinlich auch in der Hitlerjugend gewesen, wäre auch in einen Arbeitsdienst gegangen und wäre wahrscheinlich auch in Stalingrad umgekommen oder mit nur einem Bein zurückgekommen, das weiß man alles gar nicht.

War Fotografie für Sie eine Möglichkeit, offen zu sein für diese widersprüchliche Situation in Deutschland, eine Möglichkeit, das zu bearbeiten?

Das ist schwer zu sagen, denn manchmal geschehen Dinge wahrhaftig aus Zufall. Ich könnte da jetzt großartig deklamieren über all meine Absichten und weiß ich was. Aber ganz ehrlich muß ich sagen, daß viele dieser Dinge sich entwickelten, oft fast unbewußt. Ich war natürlich interessiert an den Dingen, und meine Fotografie versuchte ich ja immer im Menschlichen auszudrücken, so daß für mich die Kamera ein Mittel war, etwas, was nicht so offensichtlich ist, zu zeigen. Aber wieweit nun Überzeugungen dabei eine Rolle hatten oder gar Versuche, Dinge durch die Fotografie für mich oder andere zu erklären, das kann ich einfach gar nicht mehr beurteilen.

Sind die Arbeiten in der Ausstellung, z.B. über die Wahlen in Österreich, Italien und Berlin oder auch die Spanien- und Jugoslawien-Reportage aufgrund von Aufträgen entstanden??

Die meisten kamen aus Eigeninitiative; Italien wurde von New York angeregt, Spanien und Jugoslawien kamen von mir. Im allgemeinen arbeitete ich recht unabhängig, was gegenüber 'LIFE‘ für mich ein riesiger Vorteil war.

War die Rothschild-Reportage auch Ihre Idee?

Vollständig. General Clay's Berater in jüdischen Angelegenheiten erzählte mir von diesem Rothschild-Hospital in Wien und daß es wahrscheinlich nicht sehr leicht sei, dort die Erlaubnis zum Fotografieren zu bekommen. Als ich in Wien auf Visa wartete, fiel mir ein, da ist doch dieses Rothschild-Hospital. Mein ganzes Warten war so deprimierend. Ich ging hin und bekam in der Tat die Erlaubnis vom Direktor, der mir aber sagte, daß ich aufhören müsse, falls das Fotografieren jemandem nicht angenehm sei. Es war mein Glück, daß das niemand getan hat. Ich war nur zweimal für zwei Stunden in diesem Hospital und fotografierte diese Menschen, die dort warteten, um endlich nach Palästina zu kommen. Ich habe nur drei Rollen Rolleiflex, also 36 Bilder gemacht, das war alles. Die sind nie in der 'New York Times‘ erschienen; warum, weiß ich bis heute nicht.

Gibt es dafür möglicherweise politische Gründe?

Das glaube ich nicht. Da die Zeitung doch einen jüdischen Herausgeber hat, und auch der Sunday-Editor jüdisch ist und war. Ich glaube, es war vielleicht auch aus humanitären Gründen, daß sie nicht zuviel über das Ganze berichten wollten, denn das war ja illegal. Übrigens, die 'New York Times‘ hat alle Negative von vor 1951 vernichtet oder weggeschmissen, es gibt keine Negative mehr. Ich fand das wirklich sehr bedrückend, daß die 'Times‘ dem keinen historischen Wert beigemessen hat, ganz egal, ob das nun gut oder schlecht war.

Später im selben Jahr machte ich nun auch die Fotografien von „Exodus“. Die Ankunft von den Juden, die auf diesem Schiff waren, das von den Briten aufgebracht wurde, eine sehr lange, unangenehme Geschichte. Die Briten wollten sie erst nach Marseille bringen, das ließen die Franzosen nicht zu! Natürlich konnten die Briten dieses Schiff nicht nach England bringen, da haben sie einfach ihre Besatzungszone ausgesucht - Hamburg. Und wollten das Ganze einfach totschweigen. Das gelang ihnen nicht. Aber was ihnen gelang, soweit sie konnten, war, die Fresse der Presse zuzuschnüren, was ihnen auch nicht gelang.

Bis auf Ihre?

Ja, es war sehr unangenehm, ich kam in eine Konfronatation mit einem englischen Major, die fast zu Prügeleien führte. Dann in Bergen-Belsen war eine Demonstration der jüdischen Bevölkerung, die dort hausen mußte. Und ich wurde in einer englischen Zeitung angeklagt, daß ich dafür verantwortlich sei, daß eine Puppe von Bevin (britischer Außenminister) angezündet wurde, daß ich das arrangiert hätte. Das wurde mir in die Schuhe geschoben, das war eine Schweinerei. Das Ganze war für mich auch sehr deprimierend zu sehen, wie Juden, die versuchen, eine Freiheit zu gewinnen, jetzt unterdrückt werden, noch dazu von den Engländern.

Hatten Sie damals eine bewußte Botschaft?

Jein (das mag ich so sehr). Als ich mit dem Buch „German Faces“ anfing, das ja lange nur in Amerika erschienen ist, da arbeitete ich sehr bewußt dran. Es war ja, glaube ich, das erste Nachkriegsbuch, das sich mit diesen Dingen auseinandersetzte, soweit ich weiß, ist es überhaupt das einzige Buch, das Fotografie und Text so stark begrenzt; gegenüber von dem Porträt des Menschen auf der rechten Seite ist der Text auf der linken Seite, und da muß der Text auch enden. Das war nun mein eigener Auftrag, nicht nur für ein Magazin oder eine Zeitung, da war ich mir sehr bewußt, daß ich hier versuche, ein Verständnis für die Deutschen der Nachkriegszeit zu erwecken. Der Text in diesem Buch ist meiner Ansicht nach wirklich zumindest so wichtig wie die Fotografien, denn der Text sagt etwas darüber, was die Menschen vor 40 Jahren hier fühlten und dachten.

Haben Sie die Fotos nach den Interviews gemacht? Waren das spontane Begegnungen?

Ja und nein, hauptsächlich ja. Ich begann mit den Interviews am Anhalter Bahnhof, da hatte ich noch gar nicht das Konzept. Als ich mir bewußt wurde, was ich eigentlich machen will, nämlich ein Buch von Text, von Gedanken und Gesichtern, da bin ich dann etwas vorsichtiger geworden. Aber im Bahnhof habe ich mir die Menschen ausgesucht, die mich rein gesichtlich animierten. Also für das Mittenwalder Kapitel hatte ich viel Recherchen gemacht über dieses saubere, herrliche Mittenwald, das seinen Dreck unter den herrlichen Bergen verbirgt. Auch da machte ich die Fotografien fast immer nach dem Interview, nachdem die Leute ein bißchen gelockert waren, nachdem ich meine eigenen Eindrücke gesammelt hatte und mit meinen eigenen Vorurteilen dann eine eigene Entscheidung getroffen habe. Dasselbe war der Fall in Essen. Ich wollte einen industriellen Punkt, ein Ferienparadies, und als ich diese drei Kapitel fertig hatte, mit dem Anhalter Bahnhof, schlug ich dem Verleger vor, noch ein viertes Kapitel zu machen von den damals führenden Männern wie Adenauer, Ulbricht, Reuter, Abs und so weiter. Aber auch in diesem Fall kamen die Interviews erst und dann die Fotografie. Ich hatte damals natürlich kein Tonband, ich mußte Notizen machen.

Mich hat Ihre Vorurteilslosigkeit gegenüber den Porträtierten erstaunt. Es fällt nicht leicht, jemanden zu verurteilen oder einzuordnen.

Verurteilt habe ich niemanden, ich ließ sie sich selbst verurteilen.

Aber dannach noch so fotografieren zu können, stelle ich mir schwierig vor.

Ja, es ist schwer, besonders wenn ich von manchen Typen wie diesen in Mittenwald so angeekelt wurde, aber da wollte ich ganz professionell sein, aber wenn ich natürlich meine Voreingenommenheit habe, die ich gar nicht verleugnen will. Sie haben sich teils offenbart, nur teils, auch gelogen und verschwiegen. Ich war der Zuhörer, trotzdem ich vieles wußte, natürlich habe ich auch einige Leitfragen gestellt, und die Beantwortung dieser Fragen gab mir nun auch wieder ein besseres Verständnis, wer sie sind, was sie verschweigen wollen. Es war manchmal nicht leicht, nicht einfach wegzugehen und zu sagen, ach, Scheiß was drauf. Die zwei Kapitel Essen und Anhalter Bahnhof, da war mein Interesse, die Armut und die Probleme der Menschen, auf die habe ich mich konzentriert und ich hoffe, das kommt durch im Buch. Wohingegen in Mittenwald, das war ein ganz anderer Geruch.

Wie gehen Sie mit Menschen um, wenn Sie sie fotografieren? Bei einigen Fotos, z.B. bei der Rothschild -Reportage, habe ich den Eindruck, die Menschen wissen, daß Sie sie fotografieren, aber sie schauen nicht in die Kamera.

Bis zu einem gewissen Grad war es ganz spontan. Ich habe nie etwas inszeniert in meinen Fotografien. Zum Beispiel in „German Faces“ habe ich die Menschen so genommen, wie sie waren, wo sie waren. Ich habe nichts geändert. Ich habe noch nicht einmal erlaubt, daß sich die Leute die Haare kämmen. Zum Beispiel Ernst Reuter. Der hat ein großes Loch in seiner Krawatte. Das mag ich so an diesem Mann. Ein anderer Fotograf hätte vielleicht gesagt, ach, Herr Oberbürgermeister, wollen Sie nicht einen anderen Schlips umbinden, aber das war er. So habe ich nie etwas geändert an den Dingen, das wäre furchtbar gewesen. Im Rothschild -Hospital, da habe ich nicht nur nichts geändert, sondern ich habe die Leute natürlich auch nicht in die Kamera gucken lassen. In „German Faces“ guckt jeder in die Kamera. Da wollte ich auch den Augenkontakt haben. Die Leute sollten sprechen, zu mir, zum Leser.

Wohingegen beim Rothschild-Hospital, das war ja ein ganz anderes Motiv. Das war ja dieses ewige Warten der Menschen, um zum Zug nach Palästina zu kommen. Da wollte ich mich überhaupt nicht einmischen. Ich versuchte distant zu sein, aber sie waren sich natürlich meiner bewußt.

Wieweit ist ein Foto bei Ihnen geplant?

Die meisten Dinge sind eigentlich mehr oder weniger durchdacht, viele sind aber durch die Umstände entstanden, da kann ich mir keinen großen Ruhm machen. Ich mache sehr wenig Negative, sehr wenig. Ich war ein sehr sparsamer Fotograf. Die 'New York Times‘ hat nicht ein Budget gehabt wie 'LIFE‘. Ich war z.B. zur Winterolympiade 1948 in St. Moritz für die 'Times‘. Da mußte ich natürlich jeden aufnehmen, ich wußte ja nicht, wer der Gewinner ist, also knipste ich, knipste ich, knipste ich. Da hat das Metier mich in den Händen gehabt. Aber wenn ich eine Kontrolle über die Dinge habe, dann mache ich sehr, sehr wenig, z.B. für „German Faces“ habe ich im Höchstfall eine halbe Rolle, also sechs Fotos, gemacht pro Person. Ich kann Ihnen genau sagen, es ist das erste oder das letzte Foto, immer. Es ist das erste Foto, weil der Portraitierte noch frisch ist, weil es sich nicht vom Fotografen bedrückt fühlt, oder es ist das letzte, dann weiß ich, besser wird's nicht, dann wird er müde, und ich auch. Der Fotograf betreibt nämlich eine gewisse Vereinnahmung der Persona dieses Menschen. Ich will das nicht mißbrauchen, und ich will es auch nicht zu lange machen.

Haben Sie viele Aufnahmen mit der Rollei gemacht, da ist oft eine sehr große Tiefenschärfe?

Die meisten. Zum Beispiel in „German Faces“ im Bonn-Kapitel und auch in Mittenwald habe ich mit Stativ gearbeitet, denn ich habe immer mit dem existierenden Licht gearbeitet. Ich hasse es, wenn da so ein falsches Licht reinschlägt, alles hart - furchtbar. Ich hasse es auch, wenn es mir selbst geschieht, dieses Blitzen.

Was bedeutet Fotografie für Sie, was versuchen Sie auszudrücken?

Da sind eigentlich zwei Teile meiner Fotografie, wenn nicht noch mehr. Da ist die Reportage-Fotografie, wo ich mich auf das Menschliche konzentriere und versuche, das Menschliche im Menschen hervorzubringen, im Bild sowohl wie auch im Text.

Das war das Wichtigste immer in meinen Reportagen für die 'New York Times‘, auch bei den Wahlen habe ich versucht, die Menschen und das Menschliche zu zeigen, manchmal auch das Unmenschliche. Zum Beispiel im Franco-Spanien, was ja zu der Zeit das einzige überlebende faschistische Regime war, wo ich erstaunlicherweise die Erlaubnis bekam, zu fotografieren. Denn die 'New York Times‘ war dort keineswegs beliebt, die wurde mindestens zwei-, dreimal die Woche von den Zeitungsständen weggenommen. Trotzdem gelang es mir, da Erlaubnis zu bekommen, z.B. an der Militärakademie in Zaragossa; ich war, glaube ich, der erste westliche Fotograf, der da fotografieren durfte, und ich hatte auch das große Glück, daß der spanische Botschafter in Mexiko erschossen wurde, und in Madrid ein Staatsbegräbnis arrangiert wurde. Da war Franco und das gesamte Kabinett, ich war der einzige Fotograf, der zugelassen wurde. Ich hatte da einen Mann vom Presse- und Informationsamt kennengelernt, der war mein Führer durch Spanien, ein sehr eleganter Mann, Royalist, der nicht viel für Franco übrig hatte, dem gelang es, mir die Erlaubnis zu verschaffen, während des Gottesdienstes zu fotografieren. Aber da habe ich auch sehr unangenehme Erlebnisse gehabt, ich bin da furchtbar angepöbelt worden, und es war wirklich ein Glücksfall, daß ich mit dem Leben davonkam, ich wurde furchbar angegriffen. Gerade bei dem Begräbnis; aber das war das erste Mal, wo mir wirklich die Beine schlotterten. Ich war der Mittelpunkt einer Masse von unzufriedenen Spaniern. Als Franco mit seinem Wagen abfahren wollter, versperrten sie ihm den Weg mit dem faschistischen Salut. Das fotografierte ich, da sah mich einer und dann wurde ich ..., also das war eine sehr unangenehme Konfrontation, aber wie Sie sehen, ich sitze hier.

Sie sprachen von zwei Teilen Ihrer Fotografie.

Was ich jetzt im Studio in New York mache, das ist eine ganz andere Art der Fotografie. Ich mache jetzt ganz abstrakte Fotografie von Dingen, die nicht existieren. Da gibt's große Debatten, wieweit ist Fotografie Kunst. Ich betrachte Fotografie nicht als eine Kunst, sondern als ein Handwerk, in dem es manchmal Künstler gibt, die es betreiben. Es gibt meines Erachtens auch Künstler unter Schuhmachern. Ein Fotograf ist nicht in derselben Kategorie wie ein Maler oder ein Musiker. Denn ein Fotograf ist abhängig von Objekten. Ich sehe Fotografie als ein Handwerk, mit dem man Geschichte darstellen kann; aber ich bin mir auch der Voreingenommenheiten bewußt; einerseits des Fotografen selbst, andererseits der Auslegung dieser Fotografien. Ich hatte den Vorteil, wieweit es gelungen ist, weiß ich nicht, auf beiden Seiten zu arbeiten: Die Fotografie als Dokument und dann auch Fotografie als ein Ausdruck meiner eigenen kreativen Hoffnungen und Wünsche.

Welche Funktion hat Fotografie heute?

Ich finde es heute sehr wichtig, daß man in der Fotografie neue Dinge entdeckt, denn die Fotografie ist ja schon so abgenutzt, jeder ist ein Fotograf, und Kameras und Filme werden immer besser und schneller, schon fast automatisch alles, so daß ein Computer aus dem Menschen und dem Fotografen gemacht wird, und dagegen muß man sich wehren. Wenn mich jemand fragt, dann sage ich immer, geh‘ zu einem Großformat, dann lernst du Fotografie, denn die Kleinbildfotografie, dann lernst du es nicht, dann knipst du rum. Versuche, gegen den Strom zu schwimmen, versuche, deine eigenen Dinge zu kreieren und das nicht einfach knipsend zu tun, sondern wähl‘ dir ein Thema aus, wo du dich hineinknien kannst, vorzugsweise mit einer großen Kamera. Wenn das nicht geht, nimmt man auch eine kleine Kamera, aber zumindestens durchdenken und wirklich auch mit einem Stativ! Dann beschränkt man sich etwas, dann beobachtet man die ganze Sache erstmal. Und auch sollte ein Fotograf einen Standpunkt haben. Ich finde, man soll seine Vorurteile zeigen und nicht verheimlichen. Wieweit die Fotografie nun beeinflussen kann, daß wir zu besseren Resultaten kommen, das ist natürlich ein verdammt schwieriges Kapitel. Wenn man sich Israel heute ansieht, die PLO, wenn man sich Belfast ansieht und die IRA, und wenn man sich Reagan ansieht, ja dann frag‘ ich mich nur, was ist das Resultat dieser Information, denn wir sind nun doch tagtäglich Informationen ausgesetzt, wir können es ja gar nicht mehr alles verdauen, was wir da bekommen. Aber die Information hat uns dann gar nichts geholfen. Wir wissen doch jetzt oder wir sollten's fast riechen, den Gestank. Es scheint mir, daß wir nicht gelernt haben.Interview: Ekko von Schwichow

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