piwik no script img

ZWEI AUGEN AUS ARMENIEN

■ Die angezündete Laterne - eine russsiche Malerlegende

ZWEI AUGEN

AUS ARMENIEN

„Die angezündete Laterne“ - eine russsiche Malerlegende

Bei uns ist die Volkskunst erledigt: Entweder wird sie museal aufbewahrt für die Vergangenheitsforscher oder als Zugabe für Butterfahrten und Schöne-Welt-Gaukelei inszeniert. Was immer sie auch gewesen sein mag, wiederzubeleben ist ihr Leichnam nicht.

Ein anderer Umgang mit der Tradition der Volkskunst glückt manchmal Künstlern aus der Sowjetunion. Agasi Ajvasjan, der selbst an der Kunstakademie in Tibilissi Malerei studiert hat und als Zeichner für Flugzeugfabriken, Industrie und Animationsfilme arbeitete, hat für seinen Film „Die angezündete Laterne“ einen poetischen Stil gefunden, mit dem er an die Kunst der naiven russischen Malerei anknüpft, ohne sentimental zu werden oder über den historischen Abstand illusionistisch hinwegzutäuschen.

Als in den 70er Jahren auch in der BRD die naiven Maler populär wurden, konnte man auch von dem georgischen Maler Niko Pirosmanischwili erfahren. 1862 als Sohn von Bauern in einem Dorf geboren, blieb er sein Leben lang arm: Er versuchte mühsam als Hirte und Hausdiener, Hilfsarbeiter bei der Transkaukasischen Eisenbahn, als Milch- und Farbenhändler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Manchmal wurde er für Wandbilder und Firmenschilder bezahlt. In seinen Bildern liebte er die Festschmause und Trinkgelage, überquellende Stilleben voller Früchte Georgiens und die Landschaft. Über einen hier unbekannten Zeitgenossen Pirosmanischwilis, den Maler Vanos Chodshabekow aus Armenien, erzählt Ajvasjan.

Vano ist ein verzagter und trauriger Mann, mit unsicherem Schritt und riesigen dunklen Augen. Er traut seinem eigenen Talent nicht und kann doch nicht anders, als zu zeichnen, was er sieht und fühlt. Er beobachtet die Flucht eines Gefangenen, und dessen Sprung in die Freiheit, den er zeichnet wie den Flug des Ikarus, wird für ihn zur Herausforderung. „Die angezündete Laterne“ ist eine Metapher, mit der Vanos Freund, ein Laternenanzünder, ihn ermutigen will, seinen Sehnsüchten zu folgen und sein inneres Licht nach außen strahlen zu lassen.

Ajvasjan unterbricht die Legende von dem Maler, der in seiner Einfalt zum Heiligen stilisiert wird, immer wieder durch die Bilder von Hirten, die Flöte blasen. Durch sie wird der Erzählstrom zu einem vielstrophigen Lied und märchenhaften Filmgedicht. Die Bilder reihen sich wie ein Bilderbogen von einfacher Aussagekraft aneinander; Vano reitet mit Freunden auf Eseln zu den Köhlern im Wald; die Stadt Tiflios schimmert im Morgenlicht; ein Händler wiegt Obst; frischgebackenes Brot wird aus dem Ofen gezogen. Eine archaische Melodie von der Lust zu leben liegt darin, die auch den Maler trotz seiner Not immer wieder verführt, zu schauen und zu zeichnen.Katrin Bettina Müller

„Die angezündete Laterne“, Filmbühne am Steinplatz, ab 2. Juni täglich um 19 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen