■ Standbild: Zwei auf einen Streich
S T A N D B I L D
Zwei auf einen Streich
(ZDF, Dienstag, 19.30 und 22.10 Uhr); Angekündigt war ein Bericht über die saudi-arabische Wüste und das Rennen von Kamelen in ihr, gesendet wurde aber eine aktuelle Collage über Rock-Konzerte im Gorki-Park, über Rrronald Rrreagan, der vor rrrusischen Klosterbrüdern ein „New Age of religious freedom“ fordert und über Demos in Moskau, auf denen „Perestroika - perestroika!“ von Agitatoren gerufen wird, die wie K.D.Wolf vor zwanzig Jahren aussehen. Kein Wunder, denn sie fordern, daß nun auch in der Sowjetunion die Kluft zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit überwunden werde wie die Hindernisse im Kamelrennen.
„War diese Demonstration erlaubt?“, fragt die Reporterin einen wuchtigen ordensbehangenen General. „Nein“, antwortet irgendjemand anderes neben ihm. Ein Bekannter kam neulich aus Moskau zurück und erzählte: „Es ist da zur Zeit wie in San Francisco in den Sixties. Bis auf die Drogen.“ Will sagen, und das zeigte der Film auch: Überall stehen die Leute herum, reden, probieren, singen Protestlieder zu verstimmten Klampfen („Verzögerung, lalala, ist wieder tot“) und winken im Golden Gorki-Park Arm im Arm mit Fähnchen aus Stars und Hammer, Stripes und Sichel in die von tausend Feuerzeugen illuminierte Rocknacht.
„Jetzt haben wir zehn Prozent mehr Freiheit, aber das Leben ist 70 Prozent schlechter als unter Stalin“, rechnet ein Mann aus dem Volke vor. Tja, das kommt davon, wenn einen die Hoffnung gepackt, der Zweifel nicht verlassen hat, wie der ZDF-Sprecher besonnen kommentiert.
Inzwischen sind in Saudi-Arabien jede Menge Kamele an den Start gegangen, denn diese Sendung wurde später doch noch nachgeschoben, weil die Tennisberichte ausgefallen waren, wegen Regen in Paris und Reagan in Moskau. Glück für die Kamele in Riad, die nun direkt von tausendundeiner Nacht im Zeitalter der hundertundeinstel Sekunde lostraben können, und das, obwohl die automatische Kamelrennstartanlage nicht funktionierte.
Vollklimatisierte Wüstenschiffe hoppeln zu Ehren des Königs über die Piste des menschenarmen Saudireiches. Ein sensibler russischer Ikonenmaler fühlt sich von der Fernsehkamera gestört, denn Malen ist für ihn Gebet. Philippinische Wanderarbeiter pinseln dem Saudi-Scheich knallig -naturalistische Wüstenpanoramas auf die Ehrentribüne, und ein Moskauer Fantasy-Künstler gibt zu Protokoll: „Die Zensur ist verschwunden.“ Im Sandsturm erweisen sich die langen Wimpern der Kamele als der beste Staubfilter, heißer errop of backling (????, d. s.in.), Reagan gibt ein Lenin-Zitat nach dem anderen zum Besten, die Glocken des Danilow -Klosters scheppern wie erregte Megaphone, und, aus der Luft betrachtet, sieht das Rennen der rassigen Wüstenschiffe aus wie ein riesiges Kamelogramm. Micki Remann
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