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Geschichten einer bigotten Anarchie

■ Marode Bürgerwelt am Vorabend des Spanischen Bürgerkrieges / Über Fabrizia Ramondinos Erzählungen in dem Band Die Vögel des Narcis

Geschichten einer bigotten Anarchie

Marode Bürgerwelt am Vorabend des Spanischen Bürgerkrieges / Über Fabrizia Ramondinos Erzählungen in dem Band „Die Vögel des Narcis“

Eine eigenartige Welt tut sich auf, am Vorabend des Spanischen Bürgerkrieges, die einer maroden Gesellschaft. Bei der kühlen Schilderung bizarrer Charaktere in den Erzählungen „Die Vögel der Narcis“ der Italienerin Fabrizia Ramondino darf man den politischen Hintergrund ebensowenig vergessen wie in ihrem später verfaßten Roman „Althenopis. Kosmos einer Kindheit“. Er handelt von der untergehenden Großbourgeoisie Süditaliens und wiederum nicht zuletzt vom Zweiten Weltkrieg. Die jeweilige Schilderung familiärer Details macht den Reiz dieser Prosa aus, deren Brüche innerhalb der Erzählung selbst fast wieder aufgehoben werden. Deutlicher noch und auch perfider als im autobiographischen Roman sorgen sie in den 10 Erzählungen für Überraschungen, die dennoch der Geschichte nicht widersprechen. Grundsätzlich geht es um Geheimnisse, die man für sich bewahrt oder mit Wenigen zu teilen versucht. Oft sind rätselhafte Verhaltensweisen Folge von Erfahrungen. Leidvoller, wie in „Die Senora von Son Batle“, zu der steht: „Freudig traten wir in die Welt und verließen sie traurig“.

Nie gehen die Geheimnisse, auch äußerliche, an familialen Konstellationen vorbei, nie wird der Krieg kriegerisch erklärt, eher als eine Störung der gemächlichen Ordnung. Unruhe entsteht durch zunehmende Beengung des eigenen Spielraums, nicht durch die Grausamkeit an sich. Jeder Gedanke über das eigene Wohlleben hinaus erschien als Verschwendung.

Daß es bei der Charakterisierung von Zeitgenossen des Bürgerkrieges nicht bleibt, zeigt „Die Senora von Son Batle“. Dort geht es um Geständnisse innerhalb von Geständnissen. Sie beginnen mit der genauen Darstellung möglicher Formen des Handkusses, die auf den sozialen Stand des Küssenden schließen lassen. Die nun verlebte Senora war einmal schön; ihr Verfall beginnt auch nicht damit, daß ihr Vater sich ihr eines Nachts wie ein Schimpanse seiner Gefährtin nähert, denn das beschämende Geheimnis ihres Körpers war ihr bewußt: Als Kind hatte sie einen Affenschwanz, eine Verlängerung der Wirbelsäule. Daß bei aller Doppelheit sie in jedem Mann auch den Affen sieht oder umgekehrt, wundert nicht. Als der Vater stirbt, entscheidet sie sich für einen schlichten Grabstein, in den nur die Initialen seiner vier Taufnamen eingetragen werden sollen: SIMI, Affe. Die Affenmetaphorik geht immer weiter, nur ist sie nicht zu erzählen. Die geneigten Leserinnen sollen sich selbst diese Geschichte zumuten, denn zu guterletzt kommt ein Geständnis, das selbst die Senora noch verwirrt.

In der sonst angeblich so heilen Welt der Kinder geht es auch verschlüsselt zu. Es ist eine Folge von Entwicklungen innerhalb der Familie, die nie nur aus Mutter, Vater, Großmutter, Großvater, Dienstboten etc. besteht, sondern mehr noch aus dem Interieur des Hauses, das den Kindern vertrauter ist. Sie können mit dem Haus allein sein - wenn die Erziehungsbefugten nicht stören - das dann auch seinen Glanz und seine Schäbigkeit lebendig oder tot ausmacht. Die Unterscheidung, ob etwas tot ist oder doch leben kann in der Erinnerung, „ein Keramikhund, der gar nichts konnte“ etwa, sagt nichts. Was soll man da mit einem Gipsschaf. Die Verbindung zur Natur scheint hier noch intakt.

Sonderbar wird es, wenn Narcis wie die Spatzen fliegen möchte und dazu die viel zu bunten Federn noch unnütz anbringt. Nuria, die ebenso vogelbegeisterte Schwester „erfuhr, daß es schrecklich mechanische Vögel gab, die „Condor“, „Falken“, „Fledermäuse von Les Illes“ hießen. Jeden Morgen flogen sie dröhnend über das Haus, um Valencia zu bombardieren. Ich will kein Vogel werden, dachte Nuria. Das passiert Menschen, wenn sie Vögel werden wollen!“

Die Kinder sitzen meist auf den Bäumen, dort wo man sie nicht erreichen kann. Die Welt der Erwachsenen ist ihnen bei diesem Überblick nicht einmal besonders wichtig. Nuria kackt wie ein Vogel nach unten, während die eigentlichen Vögel auf die Schallplatten kacken. Bei den beiden Milchschwestern geht die schöne feudale ganz den Weg der verlebten Mutter und stirbt dekorativ im Bett an Suff und Tabletten, ungewollt. Die proletarische wird im Irrenhaus irre. Vorher scheint sie es nicht gewesen zu sein. „Vom Baum aus sah sie eines Tages Flammen und Rauch hinter dem Berg. „Es ist Krieg!“ sagte sie abends zum Vater.“ Kein Wunder, daß sie später vom Baum fällt. Sie wird in einer Grabnische hinter der feudalen Milchschwester beerdigt. In der Familie ist manches möglich, auch das Vertauschen der Väter. Geschichten also einer bigotten Anarchie, deren Eleganz man nicht unterschätzen sollte.Brigitte Classen

Fabrizia Ramondino. Die Vögel des Narcis. Zehn Erzählungen. Übersetzt von Maja Pflug, DM 32.

Fabrizia Ramondino. Althenopis. Kosmos einer Kindheit. Arche Verlag. Zürich 1986. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Mit einem Nachwort von Lea Ritter-Santini.

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