: Kein Recht aufs eigene Kind
■ Neuköllner Amtsrichter nimmt Mutter neugeborene Tochter weg / Ärzte und Pfleger der Geburtsstation halten Trennung für inhuman und unverständlich
Kein Recht
aufs eigene Kind
Neuköllner Amtsrichter nimmt Mutter neugeborene Tochter weg / Ärzte und Pfleger der Geburtsstation halten Trennung für „inhuman“ und „unverständlich“
Am 27. April wurde die hochschwangere Hannelore K. im Neuköllner Krankenhaus am Marienfelder Weg besucht: Frau E. vom Jugendamt machte der 35jährigen binnen einer Minute klar, daß sie ihr Kind nach der Geburt nicht behalten dürfe. Sie und ihr Mann seien nicht in der Lage, das Baby großzuziehen. Ihr Auftritt löste bei Ärzten und Pflegern der Geburtsstation „völliges Unverständnis“ aus.
Frau K. ist geistig behindert. Seit zehn Jahren ist sie mit dem 34jährigen Transportarbeiter Wolfgang K. verheiratet; das Ehepaar lebt seit Jahren in einer Neuköllner Zweizimmer -Wohnung. Schon ihr erstes Kind, das im Februar 1986 geboren wurde, verlor Frau K. an die Behörde. „Wir haben uns diesmal sehr auf die Geburt vorbereitet“, erzählt ihr Mann; das Paar besuchte unter anderem einen mehrmonatigen Säuglingspflegekurs. Nachdem bekannt wurde, was das Jugendamt plant, schalteten sich die Ärzte ein. In einem Brief an das Vormundschaftsgericht Neukölln bewerteten die Mediziner die bevorstehende Trennung als „inhuman“, gleichzeitig wurde die Befürchtung „negativer gesundheitlicher Folgen“ für die Eltern geäußert. Der Vorschlag von MitarbeiterInnen des Krankenhauses, die den Brief - fast wie eine Petition - alle unterschrieben: „Frau Krüger verbliebe mit ihrem Kind für einen Zeitraum von zwei Wochen in der Obhut der Klinik.“ Während dieser Zeit sollten „Wege gesucht werden, die Betreuung der Familie zu gewährleisten“. Die fanden sich bald: Eine Krankenschwester fand ein entsprechendes Wohnmodell in Kiel, das Familie K. Ende August wahrscheinlich aufnehmen könnte. Das Jugendamt stimmte dem „Beobachtungsplan“ zu. Am 13. Mai kam „Franziska“ - so der Name des Mädchens - zur Welt.
„Die Mutter hat das Kind alleine gebadet, hat selbst die Flasche gemixt, das Kind gefüttert (Fortsetzung auf Seite 18)
FORTSETZUNG VON SEITE 1
Kind ...
und gewindelt. Das klappte al-les!“ berichtet Frau Dr. Maria Nierhaus, die die 34jährige ärztlich betreute. „Sie mußte das alles lernen, aber was sie gelernt hat, hat sie auch behalten!“ Am 22. Mai vermerkt das stationäre Protokoll: „Frau K. hat ihr Baby gebadet, ihr Mann hat dabei zugeschaut. Es klappt sehr gut, die Stimmung ist fröhlich.“ Am 26.Mai: „Frau K. versorgt ihr Baby Tag und Nacht selbständig.“
Die Pflegerinnen der Station suchen nun einen Platz in Berlin für Mutter und Kind, wo sie bis zur Zusage des Kieler Wohnprojektes leben können. Sie erhalten Absagen, - die entsprechenden Einrichtungen sind auf „solche Fälle“ nicht eingestellt. Im Jugendamt findet am Freitag, dem 3. Juni, eine „Krisensitzung“ statt.
In das Gespräch, in dem das weitere Verfahren erörtert und alternative Unterbringungsmöglichkeiten besprochen werden, platzt der richterliche Beschluß: Dem Vater wird das Sorgerecht entzogen, „die elterliche Sorge der Mutter ruht“. Weiter im Text: „Der Gerichtsvollzieher ist ermächtigt, die Herausgabe (des Kindes) notfalls mit Gewalt durchzusetzen.“ Gewalt ist nicht notwendig, Frau K. bricht weinend im Krankenhaus zusammen. Franziska soll nun zu Pflegeeltern in die BRD. Die Begründung des Richters: Beide Eltern seien „geistig schwer behindert“. Der Vater stand von 1975 bis 1985 unter „Gebrechlichkeitspflegschaft“, seitdem ist er wieder voll geschäftsfähig, nimmt sich eine Rechtsanwältin, schreibt Protestnoten an den Regierenden Bürgermeister. „Auch die ins Auge gefaßten Heime können eine Gefährdung des Kindes nicht ausschließen“, formuliert Amtsrichter Schröder weiter, „die Eltern sind nicht in der Lage, dem Kind geistige Anregungen zu geben, Entwicklungsrückstände und Verhaltensauffälligkeiten wären langfristig die Folge“.
Die Anwältin hat Beschwerde gegen das Urteil eingelegt, das „wegen Eilbedürftigkeit im Wege einer einstweiligen Anordnung“ beschlossen wurde. Das Berufungsverfahren findet bald vor dem Landgericht statt. „Wir werden unmenschlich behandelt“, erklärt der Vater, „das lassen wir uns nicht mehr bieten!„Claus-Christian Malzahn
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen