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ISDN: Ein Netz für dicke Fische

■ Telekommunikation - Schlüsselbranche der Zukunft / Weltmarktkonkurrenten graben Startlöcher

ISDN: Ein Netz für dicke Fische

Telekommunikation - Schlüsselbranche der Zukunft /

Weltmarktkonkurrenten graben Startlöcher

Von Cyber Punk

„Unser Engagement in der Telekommunikation ist keine Frage von Ehrgeiz, sondern eine Frage der Existenz unserer Nation“, verkündet Postminister Schwarz-Schilling in der 'Wirtschaftswoche‘.

So ganz unklug ist das gar nicht. Das 200-Milliarden -Investitionsprojekt ISDN, das dienst-integrierende digitale Fernmeldenetz, soll die Bundesrepublik und ihre Telekommunikationskonzerne an die Spitze im internationalen Gerangel um den Milliardenmarkt der Telekommunikation hieven. „Innovative Poststrategien“ stellen dabei notwendige Umstrukturierungen im Statssektor zugunsten der Zuzkunftsoptionen der marktführenden Unternehmen dar.

Ökonomischer und technologischer Hintergrund ist das Zusammenwachsen von Nachrichten- und Computertechnik und die damit gegebene und von den betroffenen Unternehmen geplante Ausweitung neuer Produkt- und Absatzmärkte.

Die Digitalisierung des seit 100 Jahren analogen Fernmeldenetzes stellt zusammen mit dem Ausbau der Satellitennetze die Voraussetzung für die flächendeckende nationale und internationale Einrichtung eines universellen Kommunikationsnetzes zur gleichzeitigen Übertragung von Sprache, Texten, Bildern und Daten dar.

Fernsprechen mit Bewegtbild der Anrufer, Mobilfunk aus Auto, Zug und Flugzeug, originalgetreues Fernkopieren und Versenden von Texten und Grafiken in elektronische Briefkästen, Fernsteuern und Überwachen von Fertigungsprozessen, Fernübermittlung, Fernverarbeitung und Fernrecherche von Daten - das ist die Zukunftsvision.

Die ehrgeizigen Pläne sollen ab 1988 durch ISDN -Schmalbandnetz (Kupferkabel), ab 1993 dann über Glasfaser -Breitbandnetz umgesetzt werden, wobei zunächst die Großunternehmen, dann der Mittelstand und bis zum Ende des Jahrtausends alle privaten Haushalte am Glasfaserkabel hängen sollen. Für die Umsetzung von ISDN müssen Glasfaserkabel und Steuereinrichtungen verlegt und langfristig alleine in der BRD 35 Millionen Telefonapparate, 500 Fern- und mehr als 6.000 Ortsvermittlungsstellen nach und nach digital umgerüstet werden. Es geht also nicht um die Wurst, sondern mindestens um Sahnetorte erster Klasse.

Bundesdeutsche Unternehmen wie Siemens, Nixdorf, DeTeWe (Berlin), Bosch-Tochter Telenorma, ITT-Tochter SEL und die Philips-Tochter PKI in Nürnberg setzen zwar auf das Netzmonopol der Bundespost zur zügigen und kostenintensiven öffentlichen Einführung der digitalen Netze, plädieren aber für Freizügigkeit auf dem Markt für Endgeräte und Teledienste. Dort gibt es gerade ordentlich abzusetzen und zu verdienen, sei es an Telefaxgeräten oder BTX-fähigen Kleincomputern, digitalen Nebenstellenanlagen wie das 'Hicom‘ von Siemens oder an Software für Mailboxen und Datenbankrecherchen.

Der deutsche Telekommunikationsmarkt gilt als größter europäischer Teilmarkt, wobei die EG-Kommission den europäischen Gesamtmarkt auf staatliche sieben Prozent des EG-Bruttosozialprodukts bis Ende der achtziger Jahre schätzt. 60 Prozent aller EG-Arbeitsplätze sollen in den neunziger Jahren vom Bereich „Telekommunikation“ beeinflußt sein.

Was derzeit auf dem Weltmarkt für Telekommunikation passiert, nennt man im Sportgeschehen „Startlöcher graben“. Die Nummer Eins der Weltrangliste, der amerikanische Konzern AT&T, kaufte sich mit 25 Prozent bei der italienischen Olivetti ein, gründete diverse europäische Vertriebsableger, darunter die AT&T Microelectronics Europe in München, baut mit Philips in Hilversum Telefonnebenstellenanlagen und mit der britischen Firma TLL Glasfaserverbundelemente.

Der zweite amerikanische Gigant, ITT, brachte im vergangenen Jahr seine europäischen Telekom-Töchter in den von der französisch-staatlichen CGE beherrschten multinationalen Konzern ALCATEL ein, der in Frankreich heute 80 Prozent Marktanteil am Fernmeldemarkt hält, in Spanien 60 Prozent, in Italien 20 Prozent und in der Bundesrepublik über die ITT-Tochter SEL 40 Prozent. ALCATEL ist heute die Nummer Zwei des weltweiten Telekommunikationsgeschehens.

Aber noch mehr Namen sind zu nennen: Der deutsche Hoflieferant der Bundespost, die Münchner Siemens AG (Weltrangliste Nummer Drei) flirtet mit der staatlichen Telefongesellschaft Italtel aus Italien, verbrüdert sich mit dem US-Konzern General Electric und feiert Verlobung mit dem französischen Staatsunternehmen CGCT. Selbige hält sich wiederum auch den schwedischen Computerkonzern Ericsson als kapitalkräftigen Verehrer.

So sehr auch die bekannte Trägheit der Brüsseler EG -Verwaltung gewünschte Entwicklungen verzögern und so sehr auch zum Beispiel die deutsche Postgewerkschaft mit dem Arbeitsplatzargument die anstehende Deregulierung des Fernmelde- und Funkmonopols bekämpfen wird, es dürfte klar geworden sein, daß die strategischen Optionen der Telekommunikationsgiganten sich mittelfristig durchsetzen werden. Siemens, Nixdorf und Co. werden sich die Freiheit des Verkaufs, der Installation und der Wartung von ISDN -Endgeräten und deren Einbettung in ihre Bürokommunikationssysteme nicht von Schwarz-Schilling oder der EG-Kommission vorschreiben lassen. Und sie brauchen den breiten Einsatz der ISDN-Technologien, um zu Produktionszahlen zu kommen, die im internationalen Preiskampf beispielsweise gegen die japanische Konkurrenz vorderste Plätze sichern. Dabei brauchen die europäischen Computerkonzerne derzeit noch das Bündnis mit den nationalen Behörden, nicht zuletzt zur Durchsetzung eines einheitlichen technischen Standards für Telekommunikation.

Am Samstag veranstalten die Grünen in Bonn ein Hearing zur Telekommunikation. Hierzu ein Bericht auf der Wirtschaftsseite am kommenden Dienstag

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