Ein Schlaraffenland über der Ölblase

■ Naturschutzgebiet auf der Nordseeinsel Neuwerk soll durch Ölbohrungen der Preussag AG zerstört werden / Bewohner der Insel sind mehr an Touristen als an ökologischer Katastrophe interessiert / Preussag

Ein Schlaraffenland über der Ölblase

Naturschutzgebiet auf der Nordseeinsel Neuwerk soll durch

Ölbohrungen der Preussag AG zerstört werden / Bewohner der

Insel sind mehr an Touristen als an ökologischer Katastrophe interessiert / Preussag verweist auf Bergrechte

Von Holger Bruns-Kösters

Neuwerk (taz) - Naturschutzgebiet Neuwerk im Sommermonat Juni: Auf den Salzwiesen zur Zeit Rotschenkel, Seeschwalben, Sandregenpfeifer und Austernfischer brütend zwischen den Gräsern. Da reißt sich der Hund eines Touristen von der Leine und macht sich auf die Jagd. Hunderte von Vögeln schwingen sich kreischend in die Luft.

„Wenn die das durchkriegen, ist die Sache hier für mich gelaufen,“ sagt Sylvio Dubberke, Vogelschützer auf der Nordseeinsel, und meint damit die Preussag AG in Hannover. „Dann verschwindet alles höhere Leben aus diesem Schlaraffenland für Vögel, und bei einem Ölunfall sind auch kleineres Getier und Mikroorganismen hin.“ Die Preussag hat den Antrag gestellt, etwa vier Kilometer vor Neuwerk Bohrungen niederzubringen, denn unter der Elbmündung befindet sich eine Ölblase und die will der Konzern in klingende Münze verwandeln.

Neuwerk ist ein drei Quadratkilometer großes Inselchen, gelegen noch in der Elbmündung und schon in der Nordsee. 36 Menschen leben hier; vier davon, im schulpflichtigen Alter, besuchen gemeinsam die zweitkleinste Schule der Bundesrepublik. Die Neuwerker leben fast ausschließlich von den Touristen. Etwa 60.000, kommen jährlich, die meisten von ihnen bleiben nur eine Stunde. Dann muß die Kutsche den Rückweg antreten, um rechtzeitig vor der Flut wieder auf dem Festland zu sein.

Fünf Kilometer weiter draußen im Land liegt die Düneninsel Schahörn: Ein fast unbewohntes Pardies für Vögel. Lediglich ein Vogelwart verbringt dort seine Tage und achtet darauf, daß wattwandernde TouristInnen den Gefiederten nicht zu nahe kommen.

1970 wechselten Neuwerk und Schahörn feierlich die Besitzerin. Nach zehnjährigen Verhandlungen gab Niedersachsen das Eiland an die Hansestadt Hamburg ab. Und die hatte Großes mit dem Gebiet vor: Ein Ölhafen für 350.000 Tonnen-Tanker sollte gebaut, riesige Flächen für Industrie aufgeschüttet werden und ein Atomkraftwerk entstehen. 1979 beerdigte die SPD-Fraktion per Beschluß den Wahnsinn.

Seitdem werden Hamburger UmweltschutzsenatorInnen nicht müde, das Gebiet für seine Vogelwelt zu loben und zu preisen. Und in der Tat: Dem Besucher aus der autogeplagten Stadt jubiliert, tirilliert und zwischert es in den Ohren, daß es ein Schmaus ist. Dabei ist der Juni der „vogelärmste“ Monat. Im Frühjahr und im Herbst machen auf Neuwerk und Schahörn Hunderttausende von Zugvögel wie Knutt und Alpstrandläufer'Pause.

Sie alle müssen sich im Watt ein Fettpolster anfressen, um dann in Sibirien oder Alsaka genug Energie für die Brut auf den Rippen zu haben. Warum bleiben die weg, wenn zwischen Scharhörn und Neuwerk gebohrt wird? Vogelschützer Dubberke erklärt es an der Brandseeschwalbe: Nur noch vier Kolonien für den vom Aussterben bedrohten Vogel gibt es, die größte auf Scharhörn. 2.000 Brutpaare finden sich Jahr für Jahr ein. Die Vögel reagieren extrem empfindlich auf jegliche Störung. Sie lassen ihren Nachwuchs in den Eiern Nachwuchs sein und verschwinden. Wohin? Sylvio Dubberke zuckt mit den Schultern: „Ja eben. Die sind dann weg. Und in Alaska und Sibirien wundern sich die Leute, daß die Vögel nicht mehr kommen.“

Wenn die Pläne der Preussag Wirklichkeit werden, sind auch 15 bis 30 Seehunde weg, die bislang 500 Meter neben dem Ort der geplanten Bohrung auf Wittsand ruhen. Von der tödlichen Lungenentzündung sind die Tiere bislang verschont geblieben. Was nicht heißt, daß die Nordsee an dieser Stelle idyllischer wäre als anderswo: Tote Jungrobben, Heuler genannt, findet Dubberke immer mal wieder. Die Tiere sterben qualvoll an einem Nabelbruch, da sie von den Sandbänken auf der Flucht vor Tieffliegern oder neugierigen TouristInnen immer wieder ins Wasser robben und die Geburtswunde keine Zeit zur Heilung bekommt.

Die normale Katastrophe, normal auch wie die tagtägliche Ölpest. „Ölpest ist nicht nur, wenn ein Tanker havariert“, sagt Dubberke. Immer wieder liegen verendete Vögel am Strand, die beim Putzen ihres Gefieders Öl in den Magen bekommen.

In Ottos Gartenrestaurant, wo Einheimische auf die Kutschen warten, interessiert derweil nur eins: Werden die Touristen sich bei strahlendem Sonnenschein geldbringend in den Biergarten setzen oder lieber einen Spaziergang machen. Und auch der Ortsvorsteher Werner Griebel mag über ökologische Katastrophen vor Journalisten nur ungern reden: „Unser Wasser ist ganz sauber“, sagt er. „Das müssen Sie doch gesehen haben, als Sie mit dem Schiff gekommen sind.“ Von der geplanten Ölbohrung hat er bislang nur mal kurz im Radio gehört. „Da wissen Sie mehr als ich.“ Immerhin: „Wenn man das hört, ist man erschrocken.“ Für die Neuwerker aber, sagt Griebel, ist das kein Gesprächsthema.

Dafür aber inzwischen für die Hamburger Umweltbehörde. Sie hat ihre Bedenken öffentlich gemacht und überlegt, aus dem Naturschutzgebiet einen Nationalpark zu machen. Die Preussag aber kann auf Bergrechte verweisen, die vom Land Niedersachsen vergeben und die auch in dem Gebietsaustausch -Vertrag niedergeschrieben sind. Und selbst eine Ausweisung als Nationalpark muß nicht das Aus für die Bohrpläne bedeuten. Auf dem Schiffahrtsweg von Cuxhaven nach Neuwerk passiert die MS Flipper die Texaco-Bohrinsel im schleswig -holsteinischen Wattenmeer, und die steht mitten im Nationalpark. Wattführer Horst Grein ist denn auch skeptisch. „Es ist ein Unverschämtheit angesichts der vergifteten Nordsee einen solchen Antrag zu stellen. Aber die haben das Kapital, und das hat sich noch immer durchgesetzt.“