piwik no script img

■ Press-SchlagMitsingen statt auspfeifen! Die EURO 88 wertet das gesamteuropäische Liedgut auf

PRESS-SCHLAG

Mitsingen statt auspfeifen!

Die EURO 88 wertet das gesamteuropäische Liedgut auf

Die Vorbildfunktion der Nationalhymne geriet in deutschen Stadien zunehmend aus dem Takt. Weniger die permanente Schlechtleistung der Kaiser-Sänger bei den Open-Air -Konzerten von neunzig Minuten ließ die Melodie verstummen. Vielmehr lief eine neudeutsche Schlagerrallye (vom unsäglich -unendlichen „Oleeeh-ole-ole-oleeehe“ bis zum rotlichtbezirkverdächtigen „Einer geht noch...“) dem seligen Hoffmann von Fallersleben den Rang ab.

Rechtzeitig vor dem fußballerischen EURO-Gipfel erschienen nun die Hymnen der acht Nationen - im Original, mit Übersetzung und Noten. „Lieber mitsingen als auspfeifen“ titelt der Prachtband mit bier- und bratwurstpräservativer Schutzfolie, ohne Frage ein Verdienst um das gesamteuropäische Liedgut rund um das Kulturereignis Fußball. Nationalhymnen im Umfeld der EURO sind mehr als martialisch-männliches Getöse um König, Reich und Vaterland.

Die Brüder Italiens („Fratelli d'Italia“) um Vialli und Co. besingen Elend und Hoffnung als gebündelte Unwägbarkeit von der Verteidigung der römischen Republik bis zum heutigen Quasi-Catenaccio: „Fest geschlossen die Reihen, wollen wir dem Tod uns weihen. Italien erwacht.“ Aufstehn oder untergehn, alles ist drin, der Ball ist rund.

Sprachlos dagegen die Spanier: Von der Franco-Diktatur blieb die Melodie, der Text wurde gestrichen, bislang ohne Ersatz. Dafür wetteifern Pionteks Dänen gleich mit zweien. Während die Landeshymne noch motivierend die Wikingertradition bemüht (“...dann schlugen sie auf Feinde ein, nun hütet ihre Knochen..“), empfiehlt die Königshymne den Dänen-Gegnern: „Flieh, wer fliehen kann!“

Verträglicher dürfte sich, frühestens im Halbfinale, die Paarung Spanien - Niederlande gestalten. Im holländischen „Wilhelmus“ von 1568 findet sich Lob für die Iberer: „Den König von Hispanien hab ich allzeit geehrt.“ Butragueno etc. können mitsingen.

Gelegenheit zum gemeinsamen Vorsingen bot sich auch im Ländle: England gegen Irland im Neckarstadion. „Gälische Söhne, Männer von Pale, der lang erwartete Tag bricht an“, intonierten die gälischen Separatisten. Zu recht, sie gewannen. England-Trainer Bobby Robson („God save our gracious queen“) bemüht da lieber die hymnische Mystik und läßt im Training Chöre aufstellen: „Herr, unser Gott, steh auf, hemm‘ ihrer Gegner Lauf und stürz‘ sie all.“ Genützt hat's nichts.

Ob die „roten Brasilianer“ des Valeri Lobanowski (“...und Lenins Partei, die Stärke des Volkes, sie führen zum Sieg des Kommunismus uns fort“) solchen Zuspruchs bedürfen? Seine Protassows und Belanows können ein Perestroika-Ballett auf das Grün zaubern, daß dem Teamchef möglicherweise statt Einigkeit recht viel Freizeit zu bescheren droht.

Dies zu vermeiden, wird Franz B. wieder kräftig singen lassen. Schließlich liegt der bundesdeutschen dritten Strophe-Melodie die Haydn-Komposition der österreichischen K.u.K.-Hymne zugrunde: „Gott erhalte Franz den Kaiser.„Ernst Thoman

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen