Wenn bei Capri die rote Sonne...

im Meer versinkt, muß die Reisende ihr wunderschönes Italien-Buch leider in den Sand legen. „Italien der Frauen“ - eine Rezension.  ■  Von Maria Neef-Uthoff

Italien der Frauen: Die Frauen von Rimini haben in den fünfziger Jahren ihre Bauernhöfe verlassen, um in den Hotels am Meer zu arbeiten. Ein paar Jahre später konnten sie ihre eigenen Gasthöfe und Pensionen aufmachen. Aus dieser Gegend stammt auch die Geschichte, daß Frauen im Krieg einen Nazi verspeist haben sollen.

1945 bis 48 kamen Kinder aus Neapel nach Bologna, damit sie ein wenig aufgepeppelt wurden. Die Kinder aßen nichts bei ihren Gastfamilien, weil es das Gerücht gab, daß Kommunisten Kinder fressen. Erst die angereisten neapolitanischen Mütter überzeugten die Kinder vom Gegenteil.

Italien der Frauen: Die Gleichberechtigung der Geschlechter sei nur die notwendige Ausgangssituation. Gleichberechtigung bedeute das vorhandene Modell zu imitieren. Darum verfolgen die italienischen Feministinnen das Konzept des „Anders -Seins“. Voraussetzung sind die „starken“ Beziehungen der Frauen untereinander. 1983 haben Mailänder Feministinnen die Theorie des „affidamento“ (An-Vertrauen) entwickelt: Indem Frauen einer anderen Frau in ihrer gesellschaftlichen Funktion „Achtung zollen“ und sie als Vor- und Leitbild anerkennen, soll das eigene geschlechtliche Anders-Sein aufgewertet werden. Die Mutter-Tochter-Beziehung wird als etwas Positives definiert und zur ideellen Grundlage gemacht.

Italien der Frauen: In Rom hat man am besten „Kartoffeln auf den Augen“, wenn man zufällig Zeugin eines Autodiebstahls wird. Nur in Florenz kann die Frau auch mal allein am Abend auf die Straße gehen. Sonst nirgendwo. Die öffentliche Ordnung orientiert und bestimmt sich am „kräftigen jungen, dynamischen, unmoralischen Mann“. Der drängelt sich an jedem Postschalter vor, an jeder Bushaltestelle, an jedem Taxistand.

„Italien der Frauen“, herausgegeben von Monika Savier und Rosanna Fiocchetto, ist ein Geschichtenbuch über das Italien der Frauen, ein Reisebuch, ein Kulturbuch, sensibel und parteiisch, mit einem winzigkleinen Halbmond im blauen Himmel. Von außen und innen so schön, daß es eine Freude ist. Schwarzweiße Fotos, ein gut anzufassendes Papier, ein bißchen Glanz und Liebe. In der neuen Reihe „Reise und Kultur“ des Münchner Verlags Frauenoffensive ist dies der erste Band, der einer Frau ganz und gar die ängstliche Frage abnimmt: Wohin mit dem Blick in einem fremden Land? Wenn ich nicht ganz fest versprochen hätte, nach Griechenland zu fahren, ich würde meine Tasche nehmen und abdüsen und mir alles angucken, alles aufsaugen, alles probieren, alles berühren, alles einatmen, alles wovon die Geschichten erzählen.

Landschaften, Orte werden beschrieben, so als wäre man schon da, hätte den Geruch des Sommers in der Nase, die Schwere der Hitze auf der Haut. Überall Geschichte, überall Kulturgeschichte. Kleine und große. Die Malerinnen, die vergessenen oder zu wenig bekannten wie Rachel Ruysch, Elisabeth V.Le Brun oder Artemisia Gentileschi, von deren Bildern „Judith, die Holofernes umbringt“ als einziges etwas bekannt ist. Deren Bilder konnte man sich im Frühjahr für kurze Zeit in Berlin in einer Ausstellung ansehen. In Florenz haben sie gelebt, gemalt, sind von überallher gekommen. Ihre Bilder sind so empfindlich, weil sie niemals restauriert worden sind, daß sie, wie Gisela Breitling, Malerin und eine der Veranstalterinnen der Austellung in Berlin berichtete, keiner oder kaum einer weiteren Ausstellung standhalten.

Italien der Frauen: Königin Christine von Schweden ließ sich in Rom nieder und poussierte in den Anlagen des Botanischen Gartens mit Frauen. Pfui Teufel, sagten die Römer. Und Päpstin Johanna, die sich so gut verkleiden konnte, daß sie zwei Jahre lang als Papst regierte, bis sie dann entlarvt wurde, ist aus der Liste der Päpste gestrichen worden. Man überlege sich mal, zwei Jahre lang - was eine Päpstin Johanna heutzutage alles in zwei Jahren ausrichten könnte! Und im Jahre 885 hatte der/die/das Pabst eine unvergleichliche Macht.

Die Philosophin Lulara Bassi durfte im Mittelalter an der Universität in Bologna nicht aus ihren Werken lesen; sie mußte nach ihrer Heirat das Lehren in der Öffentlichkeit einstellen. Heute stellen die Frauen an den Universitäten der Emilia-Romagna ein Drittel des gesamten Lehrkörpers, auch wenn sie meistens auf der niedrigsten Stufe der Karriereleiter stehen.

Italien der Frauen: Die Wäscherin. Um ein Uhr nachts / schlug Mariana / die Bettlaken aus / unter der Brücke des Uso / (der Fluß war ausgetrocknet / und das Waschhaus geschlossen) / Palmina / ihre kleine Tochter / rannte die Pozzolungo rauf und runter / und hatte sich ein Laken über den Kopf gezogen. / Sie hatten ihr beigebracht, keine Angst zu haben: / Um diese Zeit / schlafen die Lebenden / , und die Toten kehren nicht wieder.

Das ist ein Gedicht von Giuliana Rocchi; sie lebt an der Riviera und ist eine arme Frau. Vierte Klasse Grundschule, Hausangestellte, Tagelöhnerin, Rentnerin, „aber nennt sie bloß nicht Dichterin, wenn ihr sie besucht“.

Geschrieben haben das Buch ganz viele italienische Frauen. Viele, die sinnlich schreiben, darum ist es so lebendig. Ein Quentchen Gefühl, auch von großen Schriftstellerinnen, auch von Theoretikerinnen.

Warum ich nie in Italien war? Warum Florenz, die Toskana, Rom keinen Reiz für mich hatten? Warum ich nie auf die Idee gekommen bin?

Er hieß Antonio und winkte mir aus dem vierten Stock des Herdter Krankenhauses zu, wo ich freiwilligen Sonntagsdienst machte. Ich war gerade dreizehn geworden und winkte zurück. Es war Anfang der sechziger Jahre. Conny sang von den kleinen Italienern. Die Nonnen waren sehr böse auf mich. Ich wurde von der Männerstation weg ins „Parkhaus“ zu alten Frauen strafversetzt. Antonio verfolgte mich. Bis ins Parkhaus schlich er, um mir Liebeszettelchen zuzustecken, und ein Herz und ein Kettchen. Ich fand ihn doof, traute mich aber nicht, das richtig zu zeigen. Er wollte mich heiraten, weinte sogar. Er tat mir leid. Er war krank. Ein Gastarbeiter, er kapierte nicht, daß ich ein Kind war. Meine Eltern sagten, südländische Männer seien unanständig. Ein paar Jahre später, ich war fünfzehn, zwangen sie mich zu einem Familien-Urlaub an die Adria. Diesmal war es Luigi, der verrückt spielte. Mir gefiel er nicht. Aber ich wurde bestraft. Sie hatten mir eingeprügelt, zu allen Menschen nett und freundlich zu sein. Den ganzen Urlaub sperrten sie mich ins Hotelzimmer ein. Führten mich nur gemeinsam an den Strand und ins Cafe und bewachten mich mit angestrengten Augen. Ich verfluchte sie, Italien und seine Männer.

Italien der Frauen, hrsg. von Monika Savier und Rosanna Fiochetto, Reise und Kultur/Frauenoffensive, 29.80 DM