: Leseland Italien?
■ Ein Bericht von der Buchmesse in Turin. Drei Monate, bevor die Frankfurter „Italien“ zum Thema hat
Ulli Klausmann
Wer die Buchmesse in Frankfurt als „Zirkus“ bezeichnet oder vom „Karussell der Bestseller“ spricht, scheint vom echten Jahrmarktsvergnügen keine Ahnung zu haben“, schrieb einst der Züricher Verleger Peter Schifferli. Hätte er in diesem Mai die erste Turiner Buchmesse erlebt, so hätte es ihm wahrscheinlich die Sprache verschlagen: da werden Filme und Video-Clips gezeigt, Break-Dance-Vorstellungen auf der „Piazza degli Sponsor“ präsentiert, und eine Astrologin mit der sonoren Stimme einer Privat-Fernseh-Ansagerin gibt Tips für die Zukunft. An allen strategisch wichtigen Stellen sind Computer installiert, mit deren Hilfe die BesucherInnen Daten über Bücher abrufen und ihr Votum für den „Autor des Jahres“ abgeben können. Eine raffinierte Einrichtung, durch die selbst die wenigen rückständigen Bücherwürmer, die immer noch nichts vom Personal Computer wissen wollen, motiviert werden, sich diesen Geräten einmal zu nähern. „Democrazia elettronica“ nennt die Messezeitung dieses Verfahren und vergißt nicht, den Hersteller dieser Computer zu erwähnen, sowie das Fabrikat des gigantischen Bildschirmes, auf dem die Portraits der Spitzenreiter dieser literarischen Top Ten in Großformat erscheinen.
Der steinerne Giovanni Agnelli an der Frontseite der Haupthalle blickt auf das Geschehen herab und sieht aus, als freue er sich über diesen großen Andrang, der doch alle Unkenrufe über die Krise des italienischen Verlagswesens zu widerlegen scheint. Zum Beispiel Einaudi
Was war geschehen in diesem Land, in dem 60 Prozent der Bevölkerung nie ein Buch lesen und wo man vor einigen Jahren noch vom „Buchladensterben„sprach?
Ein Blick auf die Strategien, mit denen Verlagshäuser wie Mondadori, Rizzoli oder Feltrinelli aus ihren Krisen hinausmanövriert worden sind, zeigt, in welche Richtung die italienische Buchproduktion abzudriften droht: Konzentrierung und Rationalisierung heißt die Devise, oft verbunden mit drastischen Reduzierungen im Programm der Neuerscheinungen.
Zum Beispiel Einaudi: Der Verlag war zur Zeit des Faschismus von einigen linken Intellektuellen gegründet worden, um Andersdenkenden die Möglichkeit zur Veröffentlichung zu schaffen. Das Unternehmen - oft „das kulturelle Gewissen der Nation“ genannt - mußte 1983 seinen Bankrott erklären. Einer der Gründe für diese schwere Krise war sicherlich die eigenwillige Verlagspolitik Giulio Einaudis, der sich konstant weigerte, „überflüssige“ Bücher zu machen, also jene Ex- und Hopp-Literatur, mit der sich so mancher Velag vor dem finanziellen Ruin zu retten versucht. Nach dreijähriger kommissarischer Leitung durch einen Staatsbeamten wurde der Einaudi-Verlag an verschiedene Teilhaber verkauft: Große Anteile gingen an den Kunstbuchspezialisten Electa und an den Schulbuchverlag Bruno Mondadori, verwandt mit Italiens größtem Verlagshaus Arnoldo Mondadori, das von Olivetti-Präsident De Benedetti kontrolliert wird. Ein Drittel von Einaudi kaufte der Erfolgsunternehmer Guido Accornero, der aus der Haushaltswarenbranche kommt und dem nebenbei die Kabelfirma Ceat Cavi gehört. Diese wiederum hat neben anderen Unternehmen und Banken den Buchsalon heftig gesponsert, denn schließlich ist Accornero auch Präsident desselben. In seiner Eigenschaft als Präsident der Buchmesse formuliet der Turiner Shooting-Star sein Ziel, „Das Buch als Kultur- und Unterhaltungsgut, aber auch als attraktiven Konsumartikel“ ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen. In diesem Sinne erwartet er von den SchriftstellerInnen, daß sie stärker in die Medien-Öffentlichkeit treten und sich für Promotion-Veranstaltungen zur Verfügung stellen. So kamen denn auch an die zweihundert AutorInnen nach Turin, um entweder Lesungen in Schulen zu halten oder Begegnungen mit dem Publikum, die nicht nur an Messe-Ständen, sondern auch in Kaufhäusern, Schuhgeschäften oder Cafe-Bars stattfanden. Italien in Frankfurt
Camilla Cederna kam frisch geliftet aus Mailand (Im Zeitalter der audiovisuellen Medien wird das Aussehen von SchriftstellerInnen immer wichtiger). Diese „Königin der Klatschtanten“, wie eine Kritikerin sie nennt, hatte 1978 mit ihren Enthüllungen über Ex-Staatspräsident Leone dafür gesorgt, daß der umstrittenen Politiker endgültig die politische Bühne verlassen mußte. Trotz der verlorenen Prozesse, die ihr dieses seitdem verbotene Buch eingebracht hat, beweist die Journalistin ungebrochenen Mut zur Frechheit: den ebenfalls skandalumwitterten Christdemokraten Andreotti nennt sie eine „Kröte im Weihwasser“.
„Italien gestern, Italien heute“ betitelt der Beck & Glückler-Verlag das zweite in deutscher Sprache erschienene Buch von Camilla Cederna, die von sich behauptet, keine Erfindungsgabe zu besitzen und daher nur wahre Geschichten zu schreiben.
Beflügelt vom einträglichen „Eco-Effekt“ zögern die deutschen Verlage nicht, auch von Neuerscheinungen sogleich die Übersetzungsrechte zu kaufen. So wird bei uns bald eine Übersetzung des brandneuen Romans eines auch in Italien noch nicht lange bekannten Autors erscheinen. „La Troga“ von Giampaolo Rugari ist eine groteske Abrechnung mit der jüngsten Vergangenheit. Der römische Autor beschreibt ein Italien zwischen Drogen und Togen, zwischen Terrorismus und korrupter Politik.
Auch das Erstlingswerk von Paola Capriolo, eine Sammlung postmoderner Märchen mit dem Titel „La grande Eulalia“, soll band auf deutsch erscheinen.
„Buchmesse“ gehört inzwischen neben „Mitteleuropa“ zu den wichtigsten Fremdwörtern der italienischen Verlegersprache. Gemeint ist damit die internationale Bücher-Show in Frankfurt, die in diesem Jahr Italien zum Schwerpunktthema hat. Ein Plastik-Modell, das mitten im Turiner Buch-Salon aufgestellt ist, veranschaulicht die geplante Ausstattung der Frankfurter Kongreßhalle für diesen italienischen Herbst: Neben einem Kaffeehaus im Stil der Goldoni-Zeit wird es eine kolosseum-förmige Arena für Autorenlesungen geben und eine Renaissance-Bibliothek, dem Skriptorium aus dem „Namen der Rose“ nachempfunden.
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