: Leere Kochtöpfe in Nicaragua
Die jüngste Wirtschaftsreform in Nicaragua läßt die Preise in die Höhe schnellen / Präsident Ortega versucht, bei den ArbeiterInnen um Verständnis für die Liberalisierung zu werben ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die Geschäfte in Managuas Einkaufszentrum blieben tagelang wegen „Inventur“ geschlossen. Die Überlandbusse der privaten Transportunternehmer rückten nicht aus. Und die Tankstellen brauchten zwei Tage, um die Zapfsäulen auf die neuen Preise umzu-stellen. Das jüngste Wirtschaftspaket, das zweite innerhalb von vier Monaten, verursachte ein kleines Erdbeben in Nicaragua. Die Sandinisten haben sich entschlossen, die Preise dem Markt zu überlassen und nur noch über begrenzte Subventionen sozialen Ausgleich zu schaffen.
Nicaraguas Präsident Daniel Ortega ist heiser. Seit einer Woche taucht er jeden Tag in einem anderen Betrieb auf, um den ArbeiterInnen die beschlossenen Wirtschaftsmaßnahmen zu erklären: Vor Molkereiarbeitern, in einem baumwollverarbeitenden Betrieb, vor medizinischem Personal. Mit einer gewissen Resignation in der Stimme und scheinbar endloser Geduld erläutert der Präsident immer wieder, daß es zwischen dem jüngsten Maßnahmenpaket und der traditionellen Roßkur des Weltwährungsfonds doch Unterschiede gebe: „Der IWF schickt die überschüssigen Arbeitskräfte auf die Straße
-wir bieten ihnen Beschäftigung auf dem Land.“ Außerdem werde die Regierung ihre Subventionspolitik zwar einschränken, aber nicht völlig aufgeben.
Während das Arbeitsministerium am 14.Juni in einem knappen Kommunique eine 30prozentige Lohnerhöhung beschlossen hatte, war durch die Benzinpreisexplosion eine gewaltige Teuerungswelle ins Rollen gekommen. Der Tarif für eine Gallone (3,8 Liter) Benzin schnellte von 15 auf 175 Cordobas, also fast 1.200 Prozent Steigerung. Die Geschäftsführung der staatlichen Mineralölverwaltung PETRONIC rechtfertigte den Schritt als Anpassung an das internationale Preisniveau.
Legt man den neuen Parallelkurs zugrunde, so ist Benzin jetzt in Nicaragua tatsächlich nur knapp teurer als im benachbarten Costa Rica und sogar eine Spur billiger als in Panama. Der Unterschied liegt im Lohnniveau: Ein nicaraguanischer Spitzenverdiener muß mehr als ein Drittel seines Gehalts ausgeben, will er seine monatliche Benzinquote von 17 Gallonen ausschöpfen. Butangas, mit dem in den meisten städtischen Haushalten gekocht wird, ist immerhin achtmal teurer geworden.
Auch alle anderen Preise, inklusive die der wichtigsten Grundnahrungsmittel, werden sich vervielfachen, zumindest verdoppeln. Die Post - und Telegraphenverwaltung TELCOR brütet noch über den neuen Tarifen, hat aber durchblicken lassen, daß die Steigerung ebenfalls saftig ausfallen wird. Viele Geschäfte wollen noch nicht verkaufen, weil sie die Wucht der Preislawine nicht einschätzen können.
Die Stimmung im Sanitärwattebetrieb PROSAN, an der westlichen Ausfallstraßen von Managua gelegen, war gedrückt. „Wir wissen, daß eure Löhne nicht einmal für das Nötigste reichen“, hatte Daniel Ortega bei seinem Auftritt dort zugegeben. Derzeit könne man aber nicht einmal garantieren, daß alle genug zu essen bekommen.
In PROSAN, wie in den meisten anderen Fabriken, gibt es „Wirtschaftsbrigaden“ - Gruppen von Arbeitern, meist Mitglieder der Partei oder der sandinistischen Gewerkschaft CST - die zu den 48 normalen Arbeitsstunden noch 20 weitere freiwillig zulegen. Ihnen leuchtet es zwar ein, daß sie Opfer bringen müssen, wenn sie verhindern wollen, daß die Revolution am Wirtschaftsdesaster scheitert.
Die meisten Arbeiter aber sehen nur ihre leeren Kochtöpfe. „Wieso werden nicht zur Abwechslung die Großproduzenten geschröpft, die sogar noch Dollars bekommen“, fragt sich eine Brauereiarbeiterin. Damit sich ihre Familie über Wasser halten kann, müssen die Kinder morgens Zeitungen verkaufen und abends betätigen sie sich als Parkwächter vor den Kinos.
Im „Colegio Centroamericano“, einer Schule, wo der gehobene Mittelstand seinen Nachwuchs pauken läßt, wurden letzte Woche die Eltern zu einer außerordentlichen Versammlung einberufen. Wollten sie verhindern, daß die Professoren kündigen und ihren Lebensunterhalt auf dem Schwarzmarkt suchen - so verkündete der Direktor den erstaunten Müttern und Vätern - müßten sie freiwillige Beiträge zur Erhaltung des Lehrkörpers leisten.
Beifall wird der Regierung derzeit von einer Seite gespendet, die sonst kein gutes Haar an den Sandinisten läßt: nämlich vom Unternehmerverband COSEP, der lange schon zu wirtschaftlichen Liberalisierungen geraten hat und jetzt noch auf die Privatisierung des Außenhandels drängt. Lediglich mit dem neuen Milchpreis sind die Unternehmer nicht zufrieden: statt 30 Cordobas wollen sie 200 für den Liter. „Wo gibt es das sonst auf der Welt“, fragte ein Rinderzüchter erbost, „daß Milch billiger ist als Coca -Cola?“. Siehe auch Wirtschaftseite 8
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