: Birthday Party im Zeichen von Aids
■ Schwule und Lesben feierten am Wochenende ihren „Gay Pride Day“ - von San Francisco bis Berlin
Der 17. Mai - so ein beliebter Scherz deutscher Kleinbürger
-ist der Geburtstag aller Schwulen, weil das Datum so gut zu den „175ern“ paßt. Eines hat die Schwulenbewegung geschafft: der „Geburtstag“ ist seit „Stonewall“ 1969 auf das letzte Juni-Wochenende verlegt worden und nennt sich nun „Gay Pride Day“.
Berlin (taz) - Am Samstag demonstrierten Lesben und Schwule in San Francisco, New York City und London. In der Bundesrepublik verteilen sich die Aktivitäten der Schwulen und Lesben auf die umliegenden Wochenenden. Fanden Veranstaltungen und Feten zum Stonewall-Gedenken in Nürnberg und Braunschweig Mitte des Monats statt, folgen sie in Essen, Hamburg und Bremen am nächsten Wochenende.
In Berlin demonstrierten am vergangenen Samstag rund 4.000 Lesben und Schwule auf dem Ku'damm. Hier jährte sich diese Form der Veranstaltung zum zehnten Mal: 1979 hatte der erste „Christopher Street Day“ mit 400 Teilnehmern stattgefunden.
Im Zug war die bunte Mischung schwuler und lesbischer Gruppen vertreten: Tuntengruppen wie die „Drei Drachen vom Grill“, die „Verkehrten Gehörlosen“, jüdische Lesben und Aids-Hilfe-Gruppen. Zum Stocken kam der Zug, als eine Vertreterin der „Initiative Polizistinnenfrauen Westberlin e.V.“ von den Ordnungshütern wegen des Mitführens eines Schlagstockes kurzzeitig festgenommen wurde.
Über die politische Stoßrichtung waren sich die Demonstranten keineswegs einig. Aus dem vorweg fahrenden Lautsprecherwagen wurde verkündet, die Schwulen wollten ihren „Platz einnehmen bei der Gestaltung des politischen und kulturellen Lebens in Berlin“. Eine Gruppe schwuler Autonomer skandierte hingegen auf der Abschlußkundgebung auf dem Wittenbergplatz „Perversion statt Integration“ und postulierte in einem Flugblatt „Schwule sind auch Spießer!“.
In den Kundgebungsbeiträgen wurde auf zunehmende Diskriminierung durch Aids, aber auch auf das britische Homosexuellengesetz verwiesen. Jörg Stubben von der Berliner Aids-Hilfe forderte neue, unabhängige Formen von Aids -Arbeit, denn: „Wir sollten uns keine Illusionen machen, wir werden nie genügend Geld für Prävention oder Pflege vom Staat bekommen.“
Dieter Telge (Bundesverband Homosexualität) ging es um die Überwindung „patriarchaler und zwangsheterosexueller Denkstrukturen“: „Wir erweitern die Nischen für unser Leben und vergessen darüber die Entwicklung unserer Vorstellungen für eine andere Gesellschaft.“
Der HIV-Positive Heinrich forderte für Infizierte und Aids -Kranke das Recht auf Sexualität ein. Trotz seiner Trauer um tote Freunde sei ihm nicht nach Schweigen zumute: „Schreien ist mir lieber, um den Frust loszuwerden.“ Geschrieen wurde auf der Kundgebung dennoch nicht, statt dessen gab es im Anschluß ein Spielfest mit Stafettenlauf und abends eine große Party im Kulturzelt Tempodrom neben der Kongreßhalle.
Bei wenig besserem Wetter als im regnerischen Berlin demonstrierten derweil 350 Leute in der Provinzstadt Esslingen bei Stuttgart für lesbisch-schwule Rechte. Von der Pliensaubrücke ging es durch die Fußgängerzone zum Marktplatz. Auf einer kleinen Kundgebung wurde die Streichung des Paragraphen 175 gefordert, aber auch gegen die Behinderung der Aids-Hilfen durch die Landesregierung protestiert. Die Selbsthilfegruppen hatten erst vor einigen Wochen ihre Bewilligungsbescheide für 1988 erhalten, die ihre Aufgaben auf die Arbeit mit Schwulen und Bisexuellen einschränkt. Allgemeine Aufklärungsarbeit dürfen sie aus der Staatskasse nicht mehr finanzieren.
Passanten und Anwohner staunten nicht schlecht, als eine solch große Gruppe Schwuler durch ihre Stadt zog. Günter Dworek, einer der Organisatoren: „In einer Stadt, wo es im Jahr vielleicht zwei Demos gibt, ist es schon ein Ereignis, wenn eine davon zu einem lesbisch-schwulen Thema ist.“ Doch ist die Gay-Pride-Demonstration nicht zu einem jährlich wiederkehrenden Ritual geworden? Dworek: „Nein, jedes Jahr finden wir problemlos eine andere Gruppe in Baden -Württemberg, die den Tag vorbereitet. Und eine solche Veranstaltung hinterläßt in einer kleinen Stadt ihre Spuren. Die Demo ist hier Tagesgespräch.“
Wie in Berlin fehlte auch hier der Sport nicht: Kurz bevor in München die Niederländer und Sowjets die Europameisterschaft unter sich ausmachten, spielte in Esslingen der „1. FC Stöckel“ gegen den „Stuttgarter Lederclub“. Die Tunten gewannen hoch mit 5:1.
Andreas Salmen
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