: Zock around the clock
■ In Hamburg Horn gewann Luici das Deutsche derby - in Bremer Wettbüros verloren die Zocker ihre Kohle
„Je länger ich hier bin, um so verwirrter werde ich“, sagt Bundespräsident von Weizsäcker ins Reportermikrophon. Da hab ich doch glatt etwas mit dem Mann gemeinsam, denn auch ich blicke nicht mehr durch. Orte der Handlung: Der Präsident schlendert zwischen feingekleideten Besucherinnen des Deutschen Derbys in Hamburg über gepflegten Rasen, während der taz-Reporter im Büro des Buchmachers Albers in Bremen nach Luft schnappend auf den Fernsehschirm starrt. Denn die Luft ist hier selbst für Kettenraucher kaum mehr genießbar. Fast alle der etwa 70 Wetter, die sich in dem Raum drängeln, ziehen an Zigarretten, vertreiben sich nervös die Zeit bis zum näch
sten Start. Auf den Böden liegen weggeworfene Wettscheine, an den Wänden hängen Fachzeitungen, die über unzählige Pferdestärken, Renndaten und Vorwetten Aufschluß geben.
Nach einigen wenigen Blicken auf das Namen und Zahlenallerlei gebe ich den Versuch auf, im Schnelldurchlauf Zockerexperte zu werden und entscheide mich fürs „learning by doing“. Orlando, sagt der Mann im Fernse
hen, das sei ein richtiger Winnertyp. Also nichts wie an die Kasse, zehn Mark gezückt und abgedrückt.
18.20 Uhr: Die Pferde in Hamburg springen aus den Boxen, die Zocker in Bremen treten aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Orlando geht in Front, Twist King ist schon geschlagen. „Mann sonne Scheiße“, stöhnt einer. Von hinten kommt Luici, sieht und gewinnt für sein Gestüt
351.175 Mark. Bremens Zocker, ob Profi oder Laie, gehen leer aus.
Egal: Morgen ist ein neuer Wettag in Paris, London oder Neuss und Bremens Wetter können wieder live dabei sein. „Spannender kann man sein Geld nicht verdienen“, steht auf dem Schild an der Wand. Oder auch umgekehrt, soweit blick ich jetzt durch.
hbk
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