: VIRGINKILLERS
■ Manila-Berlin-Exchange in der Raab-Galerie
In der Mittelachse der Galerie liegen Totenköpfe als Notation eines Liedes auf zerstoßenem Marmor, im auszuleihenden Walkman läuft eine Endloskassette mit Synthesizermusik zwischen „männlichem“ und „weiblichem“ Gong - 'Musik for Making the Sun Rise‘. Dahinter, an zwei Kuhhufen aufgehängt, „der Weiße-Kuh-Aspekt der Göttin als Gersten-Göttin“ (Ranke-Graves 'Die weiße Göttin‘), ein weißer Marmorfrauenkörper, aufgeschlitzt, „gashed, slashed, slaughtered“. Ein Embryo sitzt noch geborgen hinter aufgeklappten Fleischlappen. Zwischen den Brüsten hängt die Nabelschnur als Schlange heraus. An den Wiener Aktionismus mag man denken, wenn man die Entstehungsfotos anschaut; aufgeschlitzte Schweine, Blut etc. Es handelt sich jedoch um eine Marmorskulptur. Marmor stinkt nicht.
„Bei einem Aufenthalt auf einer unglaublich schönen Mittelmeerinsel erreichte sie (Agnes Arrelano) die Nachricht, daß ihr Zuhause, ihre Eltern und ihre Schwester durch Feuer vernichtet worden waren, und sie beschrieb, wie sie danach in einen Raum ging, in dem die Dinge eine kraftvolle Unmittelbarkeit hatten, obwohl die Realität selbst fern war.“ (Katalog)
In einem kleinen Raum am Ende der Galerie stellt Edson Armenta, wie Arrelano Jahrgang '49, 'Metaphern der menschlichen Destruktivität‘ aus: „Patibong“ (Fallen). Archaik in geistesverwirrend stimulierender Schwüle - neben mir redet jemand über Ventilatoren, die installiert werden müßten - in der Schwüle also umkreist man vorsichtig, um nicht aufgespießt zu werden, diese gefährlichen Dinge aus Bambus, Kokosnußschalen, Schlangenhäute, Netze, Asche, Stein, etc. „Alles, was die klebrige Leimrute berührt, wird Teil der Sammlung.“ (Katalog) Tierschreie liegen in der Luft - Mord ist nicht fern.
Bei Marcel Antonio, dem Jüngsten, Jahrgang '65, schimmern impressionistische Anklänge einer domestizierten, grüngelben Natur. Klar konturiert wird die im Handstand reitende Artistin; ein Dolch ist in ihrer Hand, oh weh.
Dan Raralios zusammengeklaubte Skulptur „Sex and Violins“ erinnert an Man Ray und Balthus‘ Klangkörper - „Anti-Nichts“ steht im Katalog.
Am hitzigsten scheint vielleicht die „Diary Series“ von R.M. De Leon, 20 Bilder, kleinformatig (61x81 cm), in Viererreihen nebeneinander. Er zeichnet in dicken schwarzen Umrissen und füllt dann die leeren Flächen mit Farbe. Erdfarben, große Hitze, 'Zombie Birdhouse‘, flüchtig festgestellte Figuren. Gemischtwarenhandlung. „Im Pinoy Gemischtwarenladen gibt es etwa folgendes: importierte Konserven, einheimische Konserven mit importierten Markennamen, nicht ganz frische Landprodukte, frische Landprodukte, elektrischen Bedarf ... Toilettenartikel, Schulartikel, Geschenke, eventuell veraltete Ausgaben von ausländischen Zeitungen und Zeitschriften und neue Tagesblätter...“ (Katalog)
Draußen stehen trinkend die Menschen, denen die Hitze zu drückend war, draußen steht der Manila-Jeep, „Virginkiller“, der mit philippinischem Fahrer die Straßen Berlins unsicher machen soll. Draußen steht der „Berlin Jeepney“, zusammengebaut von Luciano Castelli und Knut Hoffmeister wir sind wieder in Berlin - Schrott, Rost, statt Rädern bunte Fernseher.
„Wenn sich zum Beispiel ein Spieler, egal ob Feind, ob Freund, verletzte, dann fielen die Zuschauer in kreischendes Gelächter, das gleiche geschah, wenn irgendeiner der Aktiven den Ball in die Wolken statt ins Tor schoß. Andere Länder, andere Sitten...“ (Offenbacher Kickers, 1974 auf den Philippinen)
Detlef Kuhlbrodt
Ausstellung Manila-Berlin-Exchange bis 30. Juli in der Raab -Galerie, Potsdamer Straße 58
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