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Idylle mit militärischen Tücken: Potsdam

■ Der "Geist von Potsdam" prägt die ehemalige Garnisonsstadt immer noch / Fontane sparte die Stadt bei seinen Wanderungen aus / Dennoch viel Sehenswürdiges

„Die Bustouristen aus dem Westen und die Russen interessieren sich bloß für Schloß Sanssouci und die Gärten; was mit dem Rest der Stadt los ist, ist denen völlig egal.“ Rolf ist augenblicklich schlecht auf Potsdam zu sprechen. Er ist Handwerker und sitzt cola-trinkend in dem Cafe am Nauener Tor. Er zieht die Antriebswelle einer kleinen Dampfmaschine aus der Tasche, die er am Vorabend in einem der Abrißhäuser in der Gutenbergstraße gefunden hat.

„In den Häusern aus der Barockzeit haben Handwerker und Inhaber kleiner Privatgeschäfte gewohnt. Das ganze Viertel steht unter Denkmalschutz. Trotzdem wird weiter abgerissen, weil sich die vorfabrizierten Neubauten aus Plattenelementen nur ab einer bestimmten Stückzahl lohnen. In der Otto -Nuschke-Straße werden noch nicht einmal neue Wohnungen hingesetzt, sondern ein Heizwerk für den Knast der Staatssicherheit. Und was das schlimmste ist: die meisten Leute hier finden das völlig in Ordnung. Wenn das so weitergeht, ziehe ich bald hier weg.“

Neu ist die Abrißstrategie der Kommune nicht, sie fällt bloß mehr auf. Weil das im 2.Weltkrieg halbzerstörte Stadtschloß der Preußenkönige nicht zum Image einer sozialistischen Industriestadt paßte, wurde es 1959 kurzerhand abgetragen. 1968 waren die Reste der ebenfalls bombengeschädigten Garnisonskirche an der Reihe, wo es zudem noch den faschistischen Ungeist auszumerzen galt. Denn am 21.März 1933, kurz nach der Machtübernahme, hatten in der Kirche die Nazis den „Tag von Potsdam“ zelebriert, bei dem Hitler sich vom greisen Reichspräsidenten Hindenburg die alte Macht der Preußenmonarchie in die Hände legen ließ. An dem Spektakel nahmen nicht nur schwarze SS-Einheiten teil, sondern auch vier Söhne des abgedankten Kaisers, darunter Prinz August Wilhelm in SA-Uniform.

Der „Geist von Potsdam“, der sowohl für Einfachheit und Sparsamkeit als auch für Militarismus mit Kasernenhofdrill, „Schliff“ und Kadavergehorsam stand, prägte und belastete die Stadt, seitdem sie von dem „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm vor gut 300 Jahren zu Residenz erhoben worden war. In dem rauhen Klima der Garnisonsstadt fühlte sich deswegen die Intelligenz, ob einheimische oder auswärtige, nie sonderlich wohl. Theodor Fontane, der die ganze Mark Brandenburg durchstreifete und beschrieb, sparte Potsdam bei seinen Touren aus und beschränkte sich bei seiner Schilderung der Havelschwäne auf den lapidaren Satz: „Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet.“ Friedrich der Große, der ehemalige Hausherr von Sanssouci, hatte sich als Aufklärer verstanden, führte aber fast sein ganzes Leben lang Kriege - auf den Kanonen seiner Truppen war das Motto „ultimatio ratio regis“ (letztes Mittel des König) eingeprägt. Voltaire, der von 1750 bis 1753 als Friedrichs Hofphilosoph tätig war und teilweise auch in Potsdam lebte, schrieb an seine Nichte in Paris: „Es ist wahr, daß Potsdam von Schnurbärten und Grenadiermützen bewoht wird; aber, Gott sei Dank, ich beachte sie gar nicht. Ich arbeite friedlich in meinem Zimmer bei Trommelwirbel. Ich habe mich von den Diners des Königs zurückgezogen; es gibt dort zuviele Generale und Fürsten.“

Auch wenn heute noch viele Militärs der nationalen Volksarmee und der sowjetische Roten Armee die Straßen bevölkern: der Exerzierplatz und das Gardekasino als allein seeligmachende Lebensform gehören der Vergangenheit an. Die kriegszerstörte Altstadt präsentiert sich jetzt ein wenig nüchtern und bieder: an die Stelle des Stadtschlosses ist ein Freifläche und die Auffahrt zur „Langen Brücke“ über die Havel getreten, die von Karl Friedrich Schinkel entworfene Nicolaikirche ist mitsamt ihre, an den römischen Petersdom erinnernden, Kuppel wiederaufgebaut, und auf dem Gelände der Garnisonskirche befindet sich das Rechenzentrum, geschmückt mit großen Mosaiken zum Thema „Der Mensch bezwingt den Kosmos“.

Alt und Neu im

merkwürdigen Duett

Alt und Neu gehen etwas merkwürdige Verbindungen ein. Ein stehengebliebener Obelisk von Knobelsdorffs Neustädter Tor vor einer Häuserzeile aus Waschbeton empor (im Erdgeschoß immerhin ein Friseur: „Salon Rokoko“); an der Neustädter Bucht steht im Schatten 16stöckiger Wohntürme das Turbinenhaus für die Fontänen des Parks von Sanssouci, das die Form einer orientalischen Moschee erhalten hat.

Anders als die von breiten Magistralen durchschnittene Altstadt hat die bereits im 18.Jahrhundert angelegte „Neustadt“ ihren Charakter bis heute weitgehend bewahren können - abgesehen von den schon erwähnten Abrissen. In den planmäßig angelegten, geraden Straßen stehen die zwei- bis dreigeschossigen Häuser in langen Zeilen; sie laufen aufgereiht wie die Soldaten auf optische Fluchtpunkte wie Kirchen und Stadttore zu. In einer Fußgängerzone, die die Potsdamer den „Brodway“ nennen, und in den umliegenden Straßen finden sich zahlreiche Geschäfte, Buchhandlungen und Cafes.

Einige der Straßenzüge wurden vor 200 Jahren im holländischen Stil gebaut, so daß man sich heute zwischen rotem Backstein und Treppenriegeln eher in Delft als an der Havel wähnt. Es sind Relikte einer königlichen Standortpolitik, die holländischen Gewerbetreibenden eine Umsiedlung ins menschenarme Preußen schmackhaft machen wollte. Das Projekt schlug weitgehend fehl, so daß, wie in der übrigen Stadt auch, Bürger und Soldaten dort Unterkunft fanden.

Alle zieht es

in die Hauptstadt

In den mit ruhigen DDR-Patina überzogenen Potsdamer Vierteln ist wieder eine, wenn auch bescheidene Bürgerlichkeit eingezogen, die für jugendliche Unruhe wenig Platz läßt. Einige „Schwarzwohner“ - wie Hausbesetzer im DDR-Jargon harmlos heißen - haben sich zwar in leerstehenden Abrißhäusern eingenistet, machen aber ebenso wie die Kommunale Wohnungsverwaltung wenig Aufhebens von ihrem Tun. Anja, mit der wir in einem Antiquariat ins Gespräch gekommen sind. kritisiert denn auch die provinzielle Abgeschiedenheit Potsdams: „Wer keine Bekannten oder Freunde in Berlin hat, ist schlecht dran. Wenn man dort abends ins Theater oder ins Kino geht und dann noch zwei Stunden mit der Bahn zurückfährt, ist man am nächsten Morgen völlig gerädert. Hier in Potsdam ist nicht viel los. Das Theater gilt nur als Sprungbrett für Berlin, das „Kabarett am Obelisk“ spielt seit drei Jahren dasselbe Programm, und bei den Parkfestspielen passiert auch nichts Neues: da wird jedes Jahr am gleichen Tag die neunte Sinfonie von Beethoven gespielt.“

Die Frage, ob nicht die Studenten der Lehrerakademie oder die Leute der Defa-Filmstudios im nahegelegenen Babelsberg etwas Leben in die Stadt brächten, verneinte sie energisch. „Die Filmleute wohnen alle in Berlin“, sagt sie, „und die Studenten fahren am Wochenende nach Hause. Hier spielt sich fast alles privat ab. Zu den Parties kommen dann soviel Leute, daß die Gastgeber heulend auf der Treppe sitzen.“ Es gibt zwar Konzerte, diese beschränken sich aber etwa auf den Auftritt eines „Rocktheater Regenwiese“ im „Arbeiterjugendclub Spartakus“. Wer Joe Cocker sehen will, muß in die Hauptstadt fahren.

Im übrigen, so Anja, hat auch die neue Unübersichtlichkeit auch vor Potsdam nicht haltgemacht: „Punks und alle, die nur noch in den Westen wollen“, haben ihren Treffpunkt, ebenso wie die Yuppies, die sich in Bernhard-Kellermann-Haus einfinden. „Das sind Kinder von reichen Handwerkern, die reden nur von Klamotten und fahren mit aufgemotzten Ladas durch die Gegend.“

Auch Glasnost ist inzwischen in Potsdam eingezogen. Sichtbares Zeichen hierfür ist die stille Beseitigung eines sowjetischen Jagdfliegers, Typ MIG 17, der bis vor einem Monat, zusammen mit „Stalinorgeln“ und deutschen Feldhaubitzen, vor dem, im barocken Marmorpalais untergebrachten Armeemuseum der DDR aufgepflanzt war. Arbeiter mit schwarzen Monteursanzügen zersägten die DDR -Wappen an der Außenwand, und boten den Schleudersitz meistbietend zum Verkauf, doch keiner wollte ihn haben. Die zerteilte Maschine blieb einige Tage vor dem Museum liegen und wurde dann abtransportiert. Jetzt soll hier die ursprüngliche Gartenanlage rekonstruiert werden.

Zu Potsdam gehören die im ganzen Stadtgebiet verteilten Schlösser und Parks, die bis heute ihre idyllische Abgeschiedenheit bewahren konnten. „Manchmnal fühlen wir uns hier wie die Fürsten“, sagte Anja. „Man kann im Babelsberger Schloßgarten völlig alleine sein und ohne Bockwurstgestank nackt unter einer Eiche liegen.“

Wir fahren abends auf Anjas Anraten zum Pfingstberg, wo, hinter einem jüdische Friedhof, das von den Schinkel -Schülern Stüler und Hesse für König Friedrich-WilhelmIV. gebaute „Belvedere“ liegt - eine Villenanlage im Stil der italienischen Renaissance. Das Gebäude mit den Säulenarkaden und den zwei Türmen ist seit 1945 eine Ruine; die hohen Umfassungsmauern umschließen einen Teich, der als einzige Bewohner eine Ente mit ihren sieben Jungen hat. Das mit Eisenplatten versperrte Portal, das Sockelmauerwerk und die Säulen sind mit kyrillischen Graffitis übersäht - das verfallene Schloß ist ein beliebter Treffpunkt russischer Soldaten. Die meisten der Treppen im Inneren sind eingefallen, die Dekorationen der wenigen benutzbaren Räume zerschlagen. Arbeitet man sich auf einen der beiden Türme empor, bietet sich ein atemberaubender Anblick: hinter dem leicht abfallenden, baldigen Terrain windet sich leicht schimmernd die Havel. Einen Moment glaubt man sich nicht mehr im norddeutschen Flachland, sondern am Golf von Neapel. Doch die Realität holt einen schnell wieder ein. Plötzlich erschallt eine von vielen Stimmen getragene, zunächst etwas dissonant klingende Melodie, die aber bald in geordnete Bahnen findet. Es ist der Chor der nahegelegenen russischen Kaserne bei einer seiner häufigen Proben.

Paul Blosse

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