Legalisierung: Neuste Waffe im US-Drogenkrieg?

Auf 60 Milliarden Dollar werden die Kosten geschätzt, die den USA jährlich durch Drogenkonsum entstehen / Ökonom Milton Friedman plädiert für Austrocknen der Drogenkriminalität durch Legalisierung: Dadurch sollen die gigantischen Profitmargen der Dealer gesenkt und die Kokain-Bosse in Lateinamerika geschröpft werden  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Das Bild auf dem Fernsehschirm, wo eben noch die Sportnachrichten zu sehen waren, wird dunkel, es flimmert unscharf, während bedrohliche Sphärenklänge zu hören sind. Langsam wird erkennbar, daß wir ins Innere einer Bratpfanne blicken, in der Fett brutzelt und zischt. Eine tiefe Stimme sagt: „Dies sind Drogen.“ Ein Ei landet spritzend und gurgelnd in dem heißen Fett: „Dies ist dein Gehirn unter Drogeneinfluß ... Noch Fragen?“ Die Vereinigten Staaten befinden sich wieder einmal im Krieg. Nicht in Vietnam, nicht gegen den Kommunismus wird gekämpft, auch nicht gegen den Terrorismus, wie noch vor zwei, drei Jahren, sondern gegen Drogen. Die wichtigste Waffe in diesem Krieg ist die stets gut geölte amerikanische Medienmaschine, die auch auf diese jüngste Angstkampagne in Bestform angesprungen ist. Drogen in den Nachrichten, Drogen in den Werbespots, Drogen in den Wochenmagazinen und den Tageszeitungen. Drogen in Talkshows, Drogen im Wahlkampf, Drogen in Politikerreden und Interviews.

Für etwa hundert Milliarden Dollar werden in diesem Jahr Kokain und Crack, Marihuana und Heroin in die Vereinigten Staaten importiert, der US-Gesellschaft entstehen dadurch Kosten von 60 Milliarden Dollar, schätzt ein Forschungsinstitut, das den sozialen Preis des amerikanischen Alkoholkonsums auf sogar 85 Milliarden Dollar beziffert. 16 Prozent der von Meinungsforschern Befragten halten Drogen für das größte Problem den USA, sie rangieren damit auf der kollektiven Angstskala weit vor Arbeitslosigkeit und dem Defizit im Bundeshaushalt.

Drogen sind in den USA schon lange ein soziales, medizinisches und polizeiliches Problem. Schon Richard Nixon proklamierte 1973, beim Kampf gegen die Abhängigkeit von Narkotika am Gewinnen zu sein. Er irrte. Auch Ronald Reagan nannte im letzten Februar den war on drugs eine „unbekannte amerikanische Erfolgsstory“. Wer sich fragt, warum die kollektive US-Psyche gerade jetzt wieder einmal in den Krieg gegen Drogen geschickt wird, findet die Antwort zum Teil in General Noriegas Hauptquartier in Panama, zum Teil bei der Wahlkampagne Jesse Jacksons und zum Teil in der Bundeshauptstadt Washington.

Jackson bringt Thema auf

Dort, vor der Haustür der Kongreßabgeordneten und Präsident Reagans, wurden bis Mitte Mai 115 Menschen ermordet, vier Fünftel davon im Zusammenhang mit Drogengeschäften. Die Mordwelle rüttelte die bislang passive Bevölkerung in der Bundeshauptstadt auf, Geistliche, Lokalpolitiker und Medien verlangten nach Maßnahmen gegen den Bandenkrieg der Kokain -Dealer, Demonstrationen zogen durch den ausgepowerten Südostteil der Bundeshauptstadt. Jesse Jackson hingegen hob das Bewußtsein über die Drogenproblematik in den vernachlässigten Innenstädten auf ein nationales Niveau. In seiner Kampagne wurden Drogen vom law and order-Thema zum Symbol für die Gleichgültigkeit, mit der die amerikanische Gesellschaft das Schicksal des untersten sozialen Drittels der Bevölkerung betrachtet. Außerdem stellte Jackson es als ein Problem der von Drogenabhängigkeit und -kriminalität Betroffenen selbst dar, die die Schuld an ihrer Misere nicht immer nur auf den Rest der Gesellschaft schieben dürften. Er zwang die mit ihm konkurrierenden Präsidentschaftsaspiranten, auf das Thema einzugehen und ihre Prioritäten darzulegen. Die Reagan -Administration versuchte gleichzeitig, mit ihrer Kampagne gegen Panamas Militärchef Noriega, der von einer Geschworenenjury in Miami wegen Drogenschmuggels angeklagt worden war, Popularität einzuheimsen. Der verbale Krieg der Reagan-Administration gegen den langjährigen CIA -Helfershelfer Noriega, der von den Medien mit täglichen Berichten verfolgt wurde, scheiterte in der vergangenen Woche endgültig an der Schläue und Dickfelligkeit des panamesischen Militärbosses und an der Schwäche der internen Opposition im Lande. Es blieb nicht die einzige Schlappe der Reagan-Administration im öffentlichen Krieg gegen Narkotika. Nachdem die Küstenwache in Florida vor einigen Wochen begonnen hatte, Boote und Schiffe jeder Größe zu konfiszieren, wenn an Bord Drogen gefunden würden - und sei es nur ein einziger Joint -, mußte sie kürzlich nach Protesten von betroffenen Fischern, Bootsvermietern und Bürgerrechtsorganisationen eine Änderung dieser Politik bekanntgeben.

Die Politik der „Null-Toleranz“ hatte zwar Schlagzeilen, aber auch Fragen nach ihrer Verfassungsmäßigkeit produziert. Das laute Trommelschlagen in der Öffentlichkeit verhüllte letztlich nur die Hilflosigkeit, mit der die amerikanische Gesellschaft ihrem eigenen Drogenkonsum gegenübersteht.

Durch Alkohol- und Tabakgenuß sterben jährlich etwa 400.000 AmerikanerInnen, die hundertfache Summe der Opfer illegaler Drogen. Bei Kokain, Heroin oder Marihuana kommt aber ein Faktor hinzu, der das Problem verschärft. Da die Nachfrage groß, der Handel aber polizeilich verfolgt wird, entsteht ein breites Betätigungsfeld für eine Untergrundwirtschaft mit gigantischen Profitmargen. In den amerikanischen Innenstädten mit ihren Arbeitslosenraten von 20 und mehr Prozent unter schwarzen oder hispanischen Jugendlichen steht gleichzeitig ein breites Arbeitskräftereservoir zur Verfügung.

„Legalize it“

Der bekannte Chikagoer Ökonom Milton Friedman, ein Verfechter freier Märkte auf jedem Gebiet, sieht darin das Problem: „Drogen richten vor allem Schaden an, weil sie illegal sind.“ In den USA wachsen Stimmen, die argumentieren, daß die Drogenkriminalität eine sehr viel größere Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft darstellt als der Drogenkonsum und seine häufigen körperlichen Folgeerscheinungen bei den Abhängigen.

Die logische Konsequenz dieser Überlegungen ist die Forderung nach Legalisierung und staatlicher Kontrolle von Drogen. Bürgermeister wie Kurt Schmoke aus Baltimore oder Marion Barry aus Washington D.C., aber auch der Polizeichef von San Jose in Kalifornien halten die Legalisierung für eine erwägenswerte Idee. Wenn man die Profite aus dem Drogengeschäft eliminiere, so ihre Argumentation, wären die lateinamerikanischen Kokain-Könige ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubt, stellte der Schmuggel kein einträgliches Geschäft mehr dar und könne der Straßenhandel nicht länger zehnjährigen Kids schnelle Dollars verheißen. Außerdem könnten die acht Milliarden Dollar, die der polizeiliche Kampf gegen Drogen jährlich kostet, für Aufklärung, Beratung und Entziehungsprogramme verwendet werden. Ein bestechender Gedanke? Nicht im geringsten, findet Charles Rangel, der schwarze demokratische Kongreßabgeordnete aus Harlem und heftigste Gegner der Legalisierungsidee. Legale Drogen würden die Zahl der Abhängigen steil ansteigen lassen; außerdem, so Rangel, gebe es zu viele offene Fragen.

Der Vorsitzende des Narkotika-Untersuchungsausschusses im Repräsentantenhaus hat Kurt Schmoke eingeladen, erster Zeuge bei den Anhörungen seines Komitees über die Frage der Drogenlegalisierung zu sein, die für September in Baltimore geplant sind.