„Das Schlimmste sind die Arbeitsbedingungen“

Die legal und illegal in Italien lebenden Afrikaner gründen eine Gewerkschaft / Sie fordern Legalisierung der Illegalen und Mitgliedschaft in der Sozialversicherung / Sie leiden unter Ausbeutung, Demütigungen und Rassismus  ■  Aus Castelvolturno W.Raith

Sergei Zamdo war in Obervolta Oberschullehrer. Der vor sieben Jahren nach Italien zugewanderte Intellektuelle schuftet heute auf Tomaten- und Maisfeldern. Damit ist er keine Ausnahme in der trostlosen Neubaumeile von Castelvolturno: Ingenieure und Facharbeiter, ehemalige Rechtsanwälte und Buchhalter sind unter den gut 9.000 hier ansässigen Afrikanern. Doch keiner geht seinem eigentlichen Beruf nach - alle verdingen sich hier als Hilfsarbeiter, Tagelöhner, einige sind als glückliche Kellner oder in einer Autowerkstätte untergekommen. Ein paar hundert arbeiten „selbständig“ als wandernde Händler. Sie halten an den Strandzonen und in den historischen Zentren der Städte zwischen Rom und Neapel ihre Armbänder und Tücher, Brillen und Transistorradios feil. „Vu‘ cumpra“, die Verballhornung der Frage „Kaufen Sie?“, werden sie genannt; vorher hießen sie „Marocchini“, weil die erste Welle der afrikanischen Einwanderer vor allem aus Marokko gekommen war.

Das ist mehr als 30 Jahre her, und die landesweit 30.000 fliegenden Händler bilden nur noch eine winzige Minderheit unter den über eine Million schwarzen Arbeitern. 14 bis 16 Stunden arbeiten sie täglich, und am Abend haben sie, wenns hochkommt, 20.000 Lire, umgerechnet 28 Mark, in der Tasche. Die meisten verdienen nur an die zehn bis 15 Mark pro Tag. Eine gute Wohnung oder ein einigermaßen menschenwürdiges Zimmer können sich nur die wenigsten leisten: Sie müßten dafür zwischen 500 und 1.000 Mark im Monat bezahlen, denn bei Farbigen steigen die Preise auch für schaurigste Etablissements steil an. So schlafen die meisten in verlassenen Bauernhäusern, in ehemaligen Obdachlosencontainern für Erdbebenopfer oder nördlich von Neapel im Freien.

In Castelvolturno haben viele ein festes Dach über dem Kopf. Wie fest, ist allerdings noch nicht ausgemacht: viele Familien leben in nur halb fertiggestellten Rohbauten. Zahlreiche Bewohner sind schon von einstürzenden Hausteilen schwer verletzt worden, doch die Behörden ignorieren dies. „Lieber sie wohnen in einstürzenden Häusern, als die immer auf der Straße haben“, meint ein Beamter der Gemeindeverwaltung. „Die gerade noch 5.000 Italiener hier in der Stadt bibbern sowieso schon vor Angst vor dieser noch immer steigenden Majorisierung durch die Schwarzen.“

Doch „das Wohnen und das Verhältnis zu den anderen Nachbarn ist wirklich nur unser geringstes Problem“, sagt Georges Korsah aus Ghana, seit einigen Monaten der Sprecher aller Eingewanderten in der Region Campania um Neapel. „Denn die meisten von uns haben sich ebenso arrangiert, wie es die Italiener mit uns hier tun. Das viel Schlimmere sind die Arbeitsbedingungen.“ Für keinen der Schwarzen besteht eine Unfall- oder Krankenversicherung; und wenn sie Probleme mit dem Arbeitgeber haben, „endet der Streit meist sehr schnell

-wir werden rausgeworfen“. Da von der Million Schwarzen nicht einmal hunderttausend legal im Land leben, genügt die Drohung des „Padrone“ mit einer Anzeige, um Wohlverhalten zu erpressen.

Frauen und Kinder lassen die meisten nicht nachkommen „das steigert die Ausbeutung nur noch ins Unerträgliche“, wie Sifisio Bemehri aus der Elfenbeinküste berichtet: Er war mit seiner Frau und zwei Kleinkindern ins Land gekommen und schon nach drei Tagen standen die ersten Camorra -Zuhälter vor ihm und verlangten, daß seine Frau für sie auf den Strich gehen sollte. Sifisio verweigerte das, da kamen fünf Brutalos an - „die sie mit Sicherheit vergewaltigen wollten, Gott sei Dank war meine Frau gerade nicht da.“ Er schickte seine Familie wieder zurück - „Eine Katastrophe, denn nun haben wir ja auch in unserem Land kein Auskommen mehr, weil wir alles verkauft hatten.“

Der Leidensdruck ist aber in den letzten Jahren so gewachsen, daß immer mehr Schwarze lieber den Rausschmiß auf sich nehmen, als sich die Behandlung weiter gefallen zu lassen. George Korsah hat vor zwei Wochen einen Marsch in die Provinzhauptstadt Caserta organisiert, um mit dem Präfekten - dem obersten Verwaltungsbeamten des Bezirks die Gründung einer eigenen Gewerkschaft der Schwarzen zu erörtern. Einige Parlamentarier aus verschiedenen Parteien sind mitmarschiert, ein paar Gewerkschafter, vor allem aus den Jugendorganisationen. „Wir werden unsere Vertretung wohl kriegen“, resümiert Georges. Wichtigste Forderung der Schwarzen: Sie verlangen, daß das vor zwei Jahren vom Parlament beschlossene, aber mittlerweile abgelaufene Gesetz zur Legalisierung der Illegalen verlängert wird: Wer sich freiwillig bei den Behörden meldet, bekommt eine Aufenthalts - und Arbeitserlaubnis, die nur im Falle des Straffälligwerdens widerrufen wird; doch der psychische Druck der um ihre Erpressungsmöglichkeit fürchtenden Arbeitgeber hat bisher die meisten Illegalen am Gang ins Amt gehindert. Weiterhin fordern sie das Recht auf Dolmetscher vor Gericht und in den wichtigsten Behörden. Und schließlich verlangen sie die Vollmitgliedschaft in der Kranken- und Unfallkasse sowie in der Arbeitslosenversicherung. „Selbstverständlichkeiten“, wie der Vorsitzende der Kommunistischen Gewerkschaft CGIL in Caserta, Pasquale Lerrio sagt. Doch ganz selbstverständlich ist auch das offenbar nicht. Gerade in den großen Gewerkschaften rührt sich, wie George Korsah erfahren hat, „auch kräftiger Widerstand gegen eine volle Anerkennung der Schwarzen“ Konkurrenzdenken, vielleicht auch Rassismus.

George Korsah kann selbst ein Lied davon singen. Als er, Kellner von Beruf, seine erste Rede zur Gründung der Schwarzengewerkschaft gehalten hatte, warf ihn sein Arbeitgeber postwendend hinaus. Und der CGIL ist es bis heute noch nicht einmal gelungen, für ihn einen regulären Arbeitsgerichtsprozeß zu organisieren.