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DDR: Das lange Warten auf Glasnost

Ost-Berlin nach Gorbatschows Parteikongreß: Der Druck auf die Staatsführung wächst / Moskaus Reformen sind Tagesgespräch, doch die SED rührt sich nicht / DDR-Presse wollte Konferenz klein kochen / Das Politbüro will in Amt und Würden den 40. Jahrestag überstehen  ■  Aus Ost-Berlin B.Schurian

Auch gestern gab es keinen Kommentar der SED zu Gorbatschows Allunions-Parteikonferenz. Dabei ist Moskau in der DDR Tagesthema Nummer eins. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ kursieren Aufkleber aus Eigenproduktion. Stammtischrunden diskutieren, wie unlängst die Kirchentage: Wann setzen sich neues Denken und neues Handeln im eigenen Land durch, wann darf jeder offen seine Meinung sagen, wo bleibt effektive Rechtssicherheit?

Kopfschütteln über die ausbleibende SED-Reaktion herrscht vor, viele Äußerungen klingen resignativ. „Will die DDR Schlußlicht bleiben?“ fragt ein mittlerer Funktionär. Mutige Stimmen sollen vermehrt zu vernehmen sein, die Eingaben schreiben, wo Glasnost denn bleibe. Der DDR-Presse mißlang es, die Bedeutung der Unionsparteikonferenz herunterzuspielen.

Als letzten Donnerstag im „Neuen Deutschland‘ nur 18 Zeilen aus Moskau erschienen und Walter Ulbricht statt dessen zu Ehren kam, reagierten auch Funktionäre mit lautem Protest. Das 'Neue Deutschland‘ reagierte: Am Freitag erschienen neun Seiten Wortbeiträge - von der 6. Tagung der Volkskammer der DDR. Im Anschluß: immerhin zwei Seiten Tass-Wortprotokolle aus Moskau, auch am nächsten Tag. Einschließlich Gromyko -Kritik und (gekürzt) die Jelzin-Ligatschow-Debatte. In einigen Behörden, so teilten Mitarbeiter mit, gibt es das 'Neue Deutschland‘ nicht mehr im Verteilerdienst, wenn das Blatt Gorbatschow-Reden im Wortlaut enthält.

Die 'Junge Welt‘ demonstrierte am Montag stilistische Wege, mit Gorbatschow umzugehen. Seine Schlußrede wurde nicht wörtlich zitiert, sondern indirekt wiedergegeben - in Funktionärsdeutsch verklärt und verpackt. Jede Brisanz ging dabei flöten, die „Unumkehrbarkeit der Umgestaltung“ als Bilanz blieb außen vor.

Die Wirtschaftsreformen werden gerne zitiert, mit der Demokratisierung und Veränderung des politischen Systems tut man sich schwer. Es unterblieben Töne wie diese: „Die Partei muß sich unwiderruflich von Methoden des Kommandierens und Befehlens trennen.“ So Gorbatschow.

Dosierte Öffnung hat in der DDR eine Ventilfunktion. In Amt und Würden will das Politbüro wohlgeehrt den 40. Jahrestag der DDR im Oktober nächsten Jahres überstehn. Bis dahin, schätzte mein Taxifahrer, „spielt die SED auf Zeit“. Ohnehin sind kaum Nachfolger in Sicht, denen zugetraut wird, Glasnost aus innerer Überzeugung zu praktizieren. Zu kadertreu erzogen ist der Nachwuchs der Partei. Und zu dominant die Staatssicherheit. Auch Moskau, vermutet er, wird einen Wandel in der DDR nicht forcieren. Ungestüme Glasnostdiskussionen am Rand des Warschauer Pakts können Unruhe schüren, die zur Zeit niemand will. Dennoch belächeln auch Sowjets die Panikpolitik der SED, der der Ostwind und Westwind zugleich ins Gesicht bläst. Gerne zitiert ist als Bonmot, wie Erich Honecker Journalisten aus Österreich begründete, weshalb Perestroika kein Rezept für die DDR sein kann. „Im ersten Aufruf der KPD vom 11.Juni, die Zeit habe ich noch unmittelbar miterlebt“, so Erich Honecker, stehe geschrieben, „daß wir Kommunisten nicht die Absicht haben, das Sowjetsystem auf Deutschland zu übertragen.“ Zur Zeit tagt das RGW-Bündnis in Prag - auch um Neues aus Moskau zu erfahren. Seit gestern liegen zusammengefaßt die Abschlußthesen der Unionsparteikonferenz auf dem Tisch, und normalerweise tagt dienstags das Politbüro. Vielleicht beleben bald doch neue Rauchzeichen den DDR-Horizont. Schneller, als Honecker denkt?

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