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Turbo-Kuh nimmt Anlauf

Europa-Parlament gegen Verbot des umstrittenen Rinderwachstums-Hormons / Risiken sollen weiter erforscht werden / Einstiegsdroge für Gentechnologie in der Landwirtschaft  ■  Aus Straßburg Thomas Scheuer

Hoffnungslos seien die Parlamentarier dem „Glauben an unbeschränktes Wachstum mittels immer neuer Technologien“ verfallen - so der kritische Befund des Berliner Euro -Abgeordneten Benny Härlin, nachdem das Europäische Parlament am Dienstag mittag in Straßburg ein Verbot des Rinderwachstumshormons „Bovine Somatotropin“ (BST) abgelehnt hatte. Statt dessen sollen die möglichen Auswirkungen des Mittels auf die Gesundheit von Mensch und Tier, die Milchqualität und die Struktur der Landwirtschaft weiter erforscht werden.

Mit den BST-Spritzen, so die Versprechungen der Pharma -Industrie, könne die Produktivität von Milchkühen um bis zu 20 Prozent gesteigert werden. Vier US-amerikanische Multis (Eli Lilly, Upjohn, Monsanto, Cyanamid) haben bereits in Frankreich und England die Zulassung der Wunder-Droge beantragt. Der für Landwirtschaft zuständige Brüsseler EG -Kommissar Andriessen nannte gestern eine EG-einheitliche Regelung wünschenswert, sah sich aber nicht in der Lage, den Kommissions-Bericht über die BST-Problematik noch in diesem Jahr vorzulegen.

Mit BST versucht die Pharma-Industrie erstmals ein auf gentechnologischer Basis hergestelltes Hormon auf den Markt zu bringen. Kritiker wittern hinter der BST-getunten Turbo -Kuh denn auch das trojanische Pferd für den Einstieg der Gentechnologie in die Landwirtschaft.

Auf noch unzureichend erforschte Risiken der BST-Anwendung für Milchqualität und Tiergesundheit hatte der französische sozialistische Abgeordnete Jose Happart als Berichterstatter des Landwirtschaftsausschusses aufmerksam gemacht und weitere Forschungen angemahnt. Der Forschungs- und Technologie-Ausschuß hatte demgegenüber schon jetzt ein generelles Verbot des BST-Einsatzes gefordert. Ein entsprechender Antrag des Berliner Abgeordneten Benny Härlin von der grün-alternativen Regenbogenfraktion fand im Plenum jedoch keine Mehrheit. Statt dessen segnete die Versammlung mit 93 gegen 76 Stimmen bei 46 Enthaltungen Happarts fortschrittsgläubigen Report ab. „Die Pharma-Lobby hat gewonnen“, kommentierte der französische Sozialist Louis Eyraud das Abstimmungsergebnis. Zwar wird die endgültige Entscheidung über eine BST-Zulassung sich noch eine ganze Weile hinziehen; weitere Untersuchungen und Berichte werden folgen. Doch die Pharma-Lobby kann das Straßburger Votum zweifellos als Pluspunkt in ihrer aufwendigen Kampagne um die öffentliche Akzeptanz verbuchen. „Die Investitionen der Industrie haben sich gelohnt“, bilanzierte denn auch Benny Härlin zynisch - mit dem Hinweis auf einen USA-Trip, den der US-Pharmamulti Eli Lilly kürzlich einem Trupp Euro -Abgeordneter, darunter auch BST-Berichterstatter Happart, spendiert hatte.

Die Koordinatorin der bundesdeutschen Kampagne gegen das Rinderwachstumhormon, Christa Beck-Teppe, bedauerte das Votum des EG-Parlaments. In der Bundesrepublik gäbe es eine breite Ablehnung gegen den Einsatz von BST. Die Chemie -Multis hätten noch lange kein grünes Licht für ihr absurdes Verhalten.

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