Bauern noch PS-stärker

■ In Tarmstedt wird Landwirtschaft als Agro-Industrie vorgeführt / EG bremst bäuerliche Kauflust / Verbleichender Glanz der Prestige-Marken / Gülle bald edler

„Wie schwer ist Jonas?“ Wer die richtige Antwort errät, kann ihn mit nach Hause nehmen. Für die Etagenwohnung eignet sich der neue Gefährte allerdings weniger. Jonas ist ein stattlicher Bulle, eine der Attraktionen der 40. „Tarmstedter Ausstellung“. Die viertägige Messe im Kreis Rotenburg ist eine der größten landwirtschaftlichen Maschinenausstellungen in Nordwestdeutschland, ein Dorado für technikbegeisterte Landwirte.

Ackerbau und Viehzucht, darüber zerstört die Tarmstedter Ausstellung die letzten Illusionen, sind industrielle Tätigkeiten. Schlepper, der das zukunftsoffene Bauernherz höher schlagen läßt, ist kaum unter 70.000 Mark zu haben, ein Mähdrescher kostet 100.000 Mark. Die Großen der Landmaschinen-Branche sind in Tarmstedt vertreten - mit immer stärkeren und größeren Blechkisten.

Die meisten Mähdrescher zum Beispiel brauchen inzwischen eine Sondergenehmigung, damit die superbreiten Vehikel überhaupt auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Weil sich die teuren Erntemaschinen amortisieren sollen, sind sie in der Saison von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Einsatz, manchmal sogar nachts. Zwölf, 14 Stunden auf dem Bock sind in der Erntezeit keine Seltenheit. Um die ohren-und bandscheibenverschleißenden Arbeitsplätze zu entschärfen, hat die Industrie Designer rangelassen. Sie verwandelten vibrierende Blechsitze unter schwankendem Zelttuchdach in rundumverglaste, lärm-und staubgeschützte Chefsessel.

Ob die überreich angebotenen Landwirtschaftsmaschinen ihre Käufer finden, ist allerdings das Problem. Niedersachsens Bauern halten sich bei Investitionen zu

rück. Während früher Landwirte ihren gebrauchten Schlepper gerne für ein PS-stärkeres Modell in Zahlung gaben, wird diese Finanzierungs-Krücke seltener. Der Second-Hand -Maschinenmarkt sei „eine mittlere Katastrophe“, stöhnt Händler Worthmann. Die kleinen Betriebe, die früher betagte Maschinen abnahmen, sind heute verschwunden. Bei Neuanschaffungen gehe der Trend weg von den teuren Prestige -Marken hin zu preiswerteren Modellen. Dabei war es auf dem Land ehedem frühschoppenmäßig wichtig, ob ein Firmenschild der Renommier-Marke Fendt oder ein Arme-Leute-Label auf dem Kühler blinkte.

Der Technikbegeisterung der deutschen Bauersleute wird das kaum Abbruch tun: Obwohl die bewirtschafteten Flächen zwischen Flensburg und Konstanz im Europa-Maßstab im Mittel -Feld liegen, sind die Deutschen bei der Motorisierung pro Hektar Spitze. Mit technischen Finessen will ein Aussteller aus der Chemiestadt Ludwigshafen auch das Gülleproblem lösen. Ein Konzentrat „auf rein biologischer Basis“, unter die Gülle gemischt, soll die stinkende Brühe in einen problemlosen Naturdünger verwandeln. Bei der Bremer Landwirtschaftskammer ist die Kunde von der „Messeneuheit“ noch nicht angekommen. Aufgrund von Versuchen anderer Landwirtschaftskammern mit „Gülleveredlern“ rät man dort allerdings zur Zurückhaltung: „Landwirte, seid vorsichtig!“

Keine Probleme mit der Kauflust haben die zahlreichen Verpflegungs-Buden. Sie bieten das landestypische Bauernfrühstück: Würstchen mit Phosphaten, Pommes mit Mayo.

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Die Ausstellung dauert noch bis Montag.