: Zeitweise weniger Säure
■ Bundesumweltministerium vereinbart mit Kronos Titan: Für zwei Monate weniger Säure in die Nordsee / Zweite Algenblüte steht bevor / „Streßfaktor Säure“ soll gemildert werden
Von morgen an bis zum 15. September darf die Nordenhamer Firma Kronos-Titan nur noch zweimal pro Woche mit ihren Tankern Säure in die Nordsee verklappen - statt 4.800 „nur“ 2.400 Tonnen wöchentliches Gift für die Nordsee. Das hat das Bundesumweltministerium mit der Firma ausgehandelt. Gestern unterzeichnete Minister Töpfer eine entsprechende Abmachung. Auch „National Lead“, die US-amerikanische Muttergesellschaft von Kronos Titan, hat zugestimmt.
Daß das Chemiewerk ver
dünnte Schwefelsäure in die sterbende Nordsee verklappt, erregt Fischer und Umweltschützer schon seit mehr als zehn Jahren. Ins Blickfeld geriet die Firma besonders seit dem Fisch- und Robbensterben im Frühsommer. Damals hat Greenpeace den Säuretanker Kronos angekettet und das Auslaufen des Giftschiffes verzögert. Die Firma stellte die Verklappungen aber nicht ein, sondern kündigte im Gegenteil an, daß sie ihre Jahresmenge noch aufstocken werde, weil die geplante Wiederaufbereitungsanlage nicht so früh wie geplant ihre
Produktion aufnehmen könne. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede.
Die Vereinbarung zwischen Kronos und dem Umweltministerium soll verhindern, daß es im Spätsommer zu einem weiteren großen Fischsterben kommt. Fische verenden, wenn das Wasser zu wenig Sauerstoff enthält. Zur Sauerstoff-Zehrung trägt die Säure zwar nur einen ziemlich kleinen Teil bei: Das in der Säure gelöste Eisensulfat oxydiert im Wasser und entzieht ihm Sauerstoff. Aber: Die Säure gilt als „Streßfaktor“ für das Leben im
Meer.
Daß es in der Nordsee im Hoch- und Spätsommer noch einmal kritisch wird, gilt als sicher: Die zweite Algenblüte beginnt in diesen Tagen. Wenn die verblühten Algen faulen, sinkt der Sauerstoffgehalt des Meerwassers dramatisch. 50 Prozent der Sättigung gilt als die kritische Grenze für den Sauerstoffgehalt des Meerwassers.
Deshalb haben das Umweltministerium und Kronos Titan gestern vereinbart: Wenn die 50-Prozent-Marke unterschritten ist, wird nur noch ein Säuretanker pro Woche seine giftige Ladung ins Meer rauschen lassen. Bleibt der Sauerstoffgehalt zwei Wochen lang unter 50 Prozent der Sättigung, dann darf Kronos überhaupt nicht mehr verklappen - so lange, bis die Sauerstoff-Werte wieder gestiegen sind. Das haben Töpfer und Kronos Titan vereinbart.
Neu ist an diesem Abkommen wenig. Schon 1982 hat das „Deut
sche Hydrographische Institut“ (DHI) als Aufsichtsbehörde der Firma Auflagen gemacht: Wenn der Sauerstoffgehalt unter 50 Prozent der Sättigung abgesackt war, mußte Kronos Titan die Verklappungsfahrten reduzieren und ganz einstellen, wenn die miese Lage eine Woche oder länger anhielt. Wie aus dem DHI gestern zu erfahren war, hat das Institut der Firma in den letzten Jahren mehrmals das Einleiten der Säure untersagt.
Wenn es schlimm kommt, muß die Firma wegen der Vereinbarung mit Töpfer einen ihrer drei Öfen stillegen, meinte gestern der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Günther Beth. Das Unternehmen hoffe aber, mit seiner Wiederaufbereitungsanlage über die Runden zu kommen.
Die Anlage soll zwar erst im kommenden Jahr voll einsatzfähig sein, wird aber mit halber Kraft und häufigen Stillständen wegen Reparaturen jetzt schon genutzt.
Michael Weisfeld
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