piwik no script img

ÄSTHETIK DER EXISTENZ

■ Kommunikazion auf der Behörde

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen der Sinnstifter, die von einer Neubestimmung der Position und Funktion Berlins faseln: die Stadt als „Brücke zwischen Ost und West“, „Europa-Kongresse“, „Euro-Palettren“. Schnittstelle des Dialogs zwischen den Systemen und Nationen. Daß dabei immer wieder das Dummdeutschwort „Dialog“ bemüht wird, sollte einem bereits zu denken geben. Die Deutschen in Ost und West dürften, knapp 25 Jahre nach der aufgezwungenen Beendigung des Faschismus, für den Posten eines solchen Relais oder Überkommunikators das am wenigsten geeignete Ekelpotential sein.

Man braucht nur ins nächste Einwohnermeldeamt zu gehen, am besten ins Kreuzberger (Friedrichstraße, neben der Ausländerbehörde): Obwohl hier überwiegend Türken, Jugoslawen, Polen und sonstige fremdsprachige Europäer anstehen, sind alle Hinweisschilder auf Deutsch, nur mit Glück trifft man mal einen Beamten, der genügend amerikanische TV-Serien gesehen hat, um wenigstens Englisch zu radebrechen. Normalerweise wird die ausländische Klientel wie lästige dumme Bittsteller behandelt, gut die Hälfte wird wegen irgendwelcher fehlender Formulare wieder weggeschickt. Nicht viel anders sieht es im Arbeitsamt (in der Charlottenstraße) aus: Nach gut zweistündigem Warten wird einer Polin mitgeteilt, daß sie in der falschen Schlange steht. Hinzu kommen in diesen muffigen „Wartezonen“ noch die üblen Bemerkungen der durch die Behördenprozeduren beleidigten Deutschen: „Ja, mit der Masche 'Ich nicht verstehen, bin Polin‘ versuchen sie immer wieder durchzukommen“ / „Daß die Kanacken es immer noch nicht gelernt haben, die Formulare richtig auszufüllen, ist wirklich ein Trauerspiel!“ Selbst die am offenen Schalter sitzenden Beamte geben nur höchst unwillig Auskunft und auf Nachfragen aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten reagieren sie gar nicht: „Der nächste bitte!“

Überhaupt scheint die ganze postfaschistische Papiermagie nur inszeniert und ständig erweitert zu werden, um vor allem den Ausländern die Eingänge in ordentliche deutsche Existenzen zu verbauen, und dazu gehören ganz wesentlich die an Deportations-Dienststellen gemahnenden Innenarchitekturen. Drüben ist es nicht viel anders, wobei sich der Fremdenhaß in der Hauptsache gegen Polen und Kubaner richtet (die einen sind dreckig, die anderen stinkfaul).

In der Aufzählung der Möglichkeiten, Ausländern den Aufenthalt in der Stadt zu vermiesen, könnte man noch stundenlang fortfahren, es geht aber eher um das Gegenteil: Statt fortwährend „mehr Durchlässigkeit“ und „Überwindung der Mauer“ einzuklagen, sollte man lieber den Glücksfall dieser Trennung herausarbeiten. Für hüben wie drüben gilt, daß in den „hässlichen Öden massierter Teutonenhaufen“ (Heinsohn / Steiger) noch die kleinste Ansammlung von Boat -People oder Jungtürken wie ein ästhetischer Schock wirkt. Nicht auszudenken, wenn noch mehr fettgesichtige Sachsen oder Thüringer sich hier reinmendeln würden (für die DDR gilt umgekehrt das selbe). Die Physiognomie von Genscher, Lummer oder Diepgen beispielsweise, ist nur zum Teil mit ihrer Karriere erklärbar, abschreckend wirkt sie vor allem dadurch, daß sie durchaus phänotypisch ist. Wenn man zu Fuß vom Kudamm zur Oranienstraße geht, kommt man sich erst einmal permanent schlecht angezogen (underdressed) vor, dann kann man sich, zwischen Kulturforum und Check Point Charlie, distanzierenderweise beim Anblick von mauerknipsenden Touristen aus dem Schwarzwald und aus Husum eine Weile erholen, um etwa ab Moritzplatz von immer mehr Türken bisweilen schlagartig - demonstriert zu bekommen, daß eine wirkliche „Ästhetik der Existenz“ nur etwas zutiefst Antideutsches sein kann. Man muß hinzufügen, wenn man sich all die Triefnasen anguckt, die sich heute so wichtigtuerisch Gedanken um „Mitteleuropa“ und die „Ost-West -Brücke“ machen, daß sie auch antieuropäisch sein muß. Ein auf Kreta lebender Zimmermann und Archäologe sagte es neulich so: „Jedes Dorf bei uns ist weltoffener als Berlin!“

(leicht gekürzte Rede von John Slaiter, gehalten am 4.7. um 21 Uhr, in seiner Badewanne, Köpenickerstraße 12)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen