: Atomgemeinde im Treibhaus
Eine monströse Prognose aus dem fernen Toronto verhilft dem Weltklima-Problem zu nie gekannter Publizität. Die drohende Klimakatastrophe sei nur vergleichbar mit den Folgen eines Atomkriegs, bilanzierten die 350 Teilnehmer der Weltklimakonferenz. Hierzulande sorgte dieser Vergleich nicht nur für Aufregung unter umweltbewußten BürgerInnen, sondern auch für allerlei merkwürdige Frontstellungen. Die 'Welt‘ zum Beispiel, nicht gerade ökologische Speerspitze der bundesdeutschen Presse, lobte das Weltuntergangsszenario überschwenglich. Zum ersten Mal sei „ein Problem auf den angemessenen Begriff gebracht worden, an dem sich die Politik und die öffentliche Aufmerksamkeit viel zu lange vorbeigemogelt hat“.
Aber hier irrt die 'Welt‘. Seit Jahren schon wird auch hierzulande mit großer Zähigkeit und viel Engagement vor den Folgen des Treibhauseffekts gewarnt - von durchaus ungewohnter Seite. Der „Arbeitskreis Energie“ (früher „Arbeitskreis Kernenergie“) der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) drohte schon 1986: „Die Klimaänderungen sind - abgesehen von einem Krieg mit Kernwaffen - eine der größten Gefahren für die Menschheit.“ Die Stellungnahmen des Arbeitkreises werden regelmäßig auch vom Deutschen Atomforum e.V., der Public-Relations-Zentrale der deutschen Atomwirtschaft, verbreitet. Zum unbedingten Repertoire eines jeden größeren Treffens der Atomgemeinde gehört seit Tschernobyl ein Grundsatzreferat zur Lage des Weltklimas.
Zuletzt äußerte sich, anläßlich der „Jahrestagung Kerntechnik '88“ in Travemünde, der Bonner Physiker Klaus Heinloth zum Thema. Mit leichtem Grausen lauschte das Auditorium der professoralen Prognose, daß für die Erde „Zustände wie auf der Venus“ nicht auszuschließen seien, falls sich „die Temperaturerhöhung durch positive Rückkoppelung hochschaukelt“. Die mittlere Temperatur auf der Venus beträgt gut 400 Grad Celsius.
Angesichts derlei Perspektiven liegt die Alternative auf der Hand: Weltuntergang oder weltweiter Ausbau der Atomenergie. Denn, das weiß auch die 'Welt‘, „Kernenergie ist die einzige großtechnisch anwendbare Energieart, die den Klimaeffekt nicht noch verstärkt, da aus atomaren Brennkammern kein Kohlendioxid entweicht... Ausstiegszenarios sind deshalb umweltpolitsch unverantwortlich und entpuppen sich als opportunistische Effekthascherei“.
Konfrontiert mit einer derart stringenten Logik der Atomfreunde hat sich in der Vergangenheit mancher AKW-Gegner zähneknirschend davon abhalten lassen, offensiv auf die drohende Klimakatastrophe hinzuweisen. Zu Unrecht, wie einige wenige Zahlen belegen. Nach 30 Jahren „friedlicher Nutzung des Atoms“ beträgt der Anteil der Atomenergie am weltweiten Primärenergie-Einsatz zwischen vier und fünf Prozent. Von 417 Atomkraftwerken arbeiteten zu Beginn dieses Jahres nur etwa 50 in sogenannten Entwicklungsländern. Angesichts der ungeheuren Kapitalkosten und der fehlenden Stromnetze für die Riesenkraftwerke rechnet selbst die Atomwirtschaft auf absehbare Zeit nicht mit einem nennenswerten Ersatz fossiler Brennstoffe durch Atomkraftwerke in der „Dritten Welt“.
Die beiden Systemforscher Karl Friedrich Müller-Reißmann und Joey Schaffner haben ausgerechnet, daß allein China für einen mit bundesdeutschen Verhältnissen vergleichbaren Lebensstandard in den kommenden 20 Jahren 700 AKWs der 1.200 -Megawatt-Klasse errichten müßte, um gerade ein Viertel seines Primärenergiebedarfs mit Atomstrom decken zu können. Mit anderen Worten, das Land der aufgehenden Sonne müßte etwa doppelt soviel Atommeiler hochziehen wie in der Bundesrepublik insgesamt in Betrieb sind. Trotzdem müßten drei Viertel des chinesischen Energieverbrauchs weiterhin durch Verbrennung fossiler Energieträger bereitgestellt werden. Ein offensichtlich absurdes Unterfangen.
Statt eines Ausbaus der Atomenergie schlagen Müller -Reißmann und Schaffner vor, sich auf den „Weg der technischen Energieeinsparung zu konzentrieren“. Schon eine Steigerung der Energieeffizienz um jährlich ein Prozent würde, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 halbieren.
Wo der fossile Markt wirksam zugunsten der „Dritten Welt“ (und des Weltklimas) entlastet werden kann, ist für die Systemforscher keine Frage: bei uns. Eine (technisch unproblematische) Energieeinsparung in den westlichen Industrienationen um etwa 20 Prozent beispielsweise würde rein rechnerisch das derzeitige Energieangebot für die „Dritte Welt“ (ohne China) verdoppeln. Oder: Die Drosselung des Spritbedarfs der US-Fahrzeugflotte auf westeuropäisches Niveau würde ausreichen, den gesamten derzeitigen Erdöl -Bedarf von Afrika, Indien und China zu decken.
Gerd Rosenkranz
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